Schnitt: Psychothriller
Du sprichst nur so laut, er kann uns hören.
Er kann uns nicht hören! Aber er ist schlau!
»Gabriel?«
Gabriels Kinn sackte ganz auf die Brust, Speichel lief aus seinem Mundwinkel.
»Ich komme nächste Woche wieder, am Freitag«, sagte Yuri.
»Freitag is Waschtag«, murmelte Gabriel.
»Also. Freitag früh. Ãberlegâs dir.«
Gabriel musste nicht überlegen. Natürlich wollte er raus, um jeden Preis. An einem frühen Morgen im Februar â88, es hatte gerade frisch geschneit, holte Yuri ihn aus der Psychiatrie, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Noch heute fragt sich Gabriel manchmal, wie genau Yuri das angestellt hatte. Und vor allem warum. Zunächst einmal wurde Yuri formell sein Vormund und bürgte für ihn. Der Rest ist Geschichte. Letztlich weià Gabriel, dass Yuri zwar immer seine Gründe hat, warum er etwas tut oder lässt, aber welche Gründe das sind, das hatte er schon immer für sich behalten. Am Ende ist nur wichtig, dass er die Conradshöhe verlassen konnte.
Sie gingen durch die Schleuse der Geschlossenen, dann durch den Haupteingang des Mittelhauses nach drauÃen und über die halbrunde Freitreppe in den Park. Gabriels Herz schlug bis zum Hals, die Dosis seiner Medikamente war stark herabgesetzt worden, und er fürchtete jeden Augenblick, dass ihn jemand mit einem Lasso wieder einfangen würde.
Die dünne Schneedecke schmolz augenblicklich unter ihren Sohlen. Gabriel drehte sich nicht um, sah nicht zurück. Ihre Abdrücke hinterlieÃen eine lange schwarze Spur im Schnee, führten hinaus durch das vergitterte Tor, bis zur Bordsteinkante, wo die Spur dann abriss.
Eine kalte Windböe greift Gabriel in den Nacken. Er zieht die Schultern hoch und hastet nach links, zu dem Gebäudeteil, in dem auch heute noch die Verwaltung sitzt. Der Westflügel ist nicht vergittert und hat sich den Charme der Jahrhundertwende bewahrt, niemand würde vermuten, dass man hier lebendig Begrabene verwaltet.
Der alte Lieferanteneingang im Souterrain duckt sich neben einen welken Rosenstock. Gabriel kauert sich vor die Tür, holt sein Pick-Set hervor und öffnet das Schloss mit einem der schraubenzieherähnlichen Werkzeuge.
Die Tür gibt mit einem leisen Klicken nach, ein leises Trommeln ist zu hören. Gabriel hält inne, späht Richtung Park, in die Dunkelheit, und lauscht.
Nichts. Weiter.
Er zieht langsam die Tür auf und tritt durch den Lieferanteneingang ins Souterrain. Es riecht muffig, der Eingang und der dahinterliegende Lagerraum werden offenbar seit Jahren nicht mehr benutzt. Als er sich gerade auf der Schwelle umdreht und die Tür schlieÃen will, ertönt wieder das dumpfe Trommeln, diesmal ganz nah. Ein Schatten galoppiert auf ihn zu, stöÃt sich vom Boden ab. Gabriel versucht im letzten Moment noch, die Tür zwischen sich und das Tier zu bringen. Doch mit geballter Kraft schieÃt das dunkle Bündel durch die Luft, heiÃer Atem schlägt ihm entgegen, die Tür fliegt ihm aus der Hand. Gleichzeitig reiÃt er den linken Arm schützend hoch, im selben Moment graben sich auch schon die Zähne durch die Jacke in sein Fleisch. Er taumelt, versucht verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten, dann stürzt er rücklings auf den harten Fliesenboden. O Gott, lass es nicht an deinen Hals kommen!
Die Bestie ragt über ihm auf, ein groÃer muskulöser Rottweiler, den Kiefer wie einen Schraubstock um Gabriels Unterarm. Aus seinem Maul dringt der Gestank von Pansen, die Zähne verkeilen sich endgültig in seinem Arm. Gabriel holt mit der Rechten aus, rammt dem Tier das Pickwerkzeug in den Hals, einmal, zweimal, aber nicht tief genug. Warmes Blut spritzt auf Gabriels Hand, seine lädierte Schulter brüllt vor Schmerzen.
Der Hund zuckt, lässt kurz locker, dann fasst er sofort wieder nach. Der Schmerz brennt wie glühendes Eisen. Aus der Kehle des Rottweilers steigt ein abgrundtiefes Grollen, die Augen glänzen düster. Gabriel lässt vom muskulösen Hals des Hundes ab, dreht den Pick in seiner Rechten und rammt den Metallstab mit aller Kraft in das Auge des Rottweilers, bis tief hinein ins Gehirn. Augenblicklich löst sich der Kiefer des Hundes. Das Tier zuckt, als hätte es sich in ein Stromkabel verbissen. Dann bricht es über ihm zusammen.
Schwer atmend befreit Gabriel seinen Arm aus dem Maul des Hundes und richtet sich mühsam auf. Dann
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