Schnitt: Psychothriller
Funkenflug durch die Nase in sein Gehirn vordringt und dort gegen eine Wand prallt.
Transkript Tonbandaufnahme vom 07. 05. 86:
⦠da liegt sie ⦠einfach so. Daneben, direkt daneben ⦠ich hab noch nie solche Augen gesehen ⦠wie Feuer ⦠rote Monsteraugen ⦠Luke, ich hab Angst ⦠haben wir doch alle ⦠nein, du bist ein Feigling ⦠nimm sie ⦠er wird mich umbringen ⦠er ist es nicht wert ⦠Luke ⦠das ist mein Vater ⦠er ist ein Monster, ein gefährliches, gefährliches Monster ⦠wer ist das Monster? ⦠Luke, du bist auch ein Monster ⦠willst du ein Monster sein? ⦠Nein, nein, nein ⦠sieht denn keiner, dass ich das nicht tun will ⦠wenn du nichts tust, bist du ein Monster, wie er â¦
Die Wand hat plötzlich einen Riss, schmal, klein wie ein Schlüsselloch in einer Tür, hinter der ein alter Traum tobt. Es ist, als könne er seine Stimme hinter der Tür hören, aber durch das Schlüsselloch ist nichts zu sehen, und er fühlt nichts, obwohl sein Herz rast.
⦠warum liegt sie nur einfach so da ⦠ich muss sie nur aufheben ⦠dann tu es und halt die Fresse ⦠schon gut ⦠nichts ist gut ⦠mach schnell ⦠muss ich hier vorne? ⦠es ist so schwer, warum ist die so sch ⦠du zitterst ⦠lass das! ⦠hör auf zu zittern ⦠ziel! ⦠ich mach ja schon, ich mach ja ⦠siehst du nicht, ich bin ⦠ganz blau, er ist ganz blau ⦠ist er wirklich ein Monster?
Woher willst du das wissen?
Bist du ganz sicher?
⦠das ist doch, Vater ⦠Vater!
⦠halt dich da raus
⦠ich drück jetzt. Ich drück jetzt ab
⦠ich ⦠jetzt!
⦠Au! Mein Arm, mein Arm!
⦠er ⦠ich hab ihn getroffen
⦠Luke, du hast ihn getroffen
⦠ja, ja ⦠ich ⦠musste
Hilfst du mir jetzt?
Die Erkenntnis trifft Gabriel wie der Hieb einer Axt. Die Akte gleitet ihm aus der tauben Hand, die Dunkelheit stürzt über ihm zusammen.
Er spürt nichts mehr â und zugleich alles. Die Schmerzen in seinem Arm und in seiner Schulter sind verschwunden, nicht weil es nicht mehr weh tut, sondern weil sein ganzer Körper vor Qualen schreit.
Ich hab dich gewarnt , jammert die Stimme.
Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?
Ich wusste es nicht mehr.
Und wovor wolltest du mich dann warnen?
Ich weià es nicht.
Du weiÃt es nicht? Du kennst mich besser als jeder andere, und du weiÃt nicht mehr, dass ich meinen Vater erschossen habe?
Ich hatte Angst, Luke. Ich wollte nicht bestraft werden.
Kapitel 37
Berlin â 24. September, 17:28 Uhr
David rutscht unruhig in dem tiefbraunen Lederpolster des Ohrensessels umher. Es ist bereits halb sechs, er wartet jetzt seit eineinhalb Stunden darauf, dass sich endlich mehr tut als nur das Rascheln von umgeschlagenen Seiten, doch Dr. Irene Esser ist so gründlich, wie sie es schon immer war.
Sein Blick verfängt sich in dem Uecker-Bild, das hinter ihr an der Wand hängt. Eingeschlagene Nägel, die eine Spirale bilden, als ob das Schicksal wie ein kreisender Magnet über ihnen zum Stillstand gekommen ist. Er muss an Shona denken, an ihr Schweigen, an sein Schweigen, an seine ungelenke und wortkarge Entschuldigung. Was hätte er auch am Telefon sagen sollen?
Mein Bruder hat meine Eltern erschossen?
Die Polizei sucht ihn?
Ich hab ihn verraten?
Die ganze Geschichte ist wie der Uecker. Jeder Nagel zeigt in eine andere Richtung. Die Spirale erkennt man nur, wenn man alle Nägel sieht. David war ein Stein vom Herzen gefallen, dass Shona nicht weiter nachgefragt hatte.
»Ihnen ist schon klar«, sagt Dr. Irene Esser, »dass ich jetzt eigentlich die Polizei anrufen sollte?« Ihre dunkelbraunen Augen liegen wie polierte alte Murmeln unter den schlaffen Lidern.
David runzelt irritiert die Stirn.
Dr. Esser fixiert ihn über den Rand einer halben, rot gefassten Brille und legt das dicke Bündel DIN -A4-Kopien auf ihren Schreibtisch. »Woher haben Sie das?«
David seufzt. »Ich sagte Ihnen ja schon, das ist alles etwas heikel.«
Ihr Blick fixiert ihn, über den antiken Schreibtisch hinweg, so wie früher. Nur war früher der Sessel noch gröÃer gewesen. Und früher waren ihre Haare blond, und sie kam ohne Brille
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