Schnitt: Psychothriller
überhaupt hier reingekommen?« Seine Augen tasten ihr schmales, von der Hecke zerkratztes Gesicht ab. »Sie sehen aus wie ein gerupftes Huhn.«
Liz lächelt gequält.
»Was stehen Sie hier noch so dämlich rum?«, schnauft von Braunsfeld. »Kommen Sie schon rein! Und dann will ich eine brauchbare Erklärung, was dieser Schwachsinn soll.«
»Nur wenn Sie allein sind«, sagt Liz leise.
Von Braunsfeld runzelt die Stirn. »Ich bin immer allein. Das wissen Sie doch.«
Kapitel 46
Berlin â 28. September, 00:36 Uhr
Die Tür fällt hinter Liz ins Schloss. Dunkel und erhaben hallt das Geräusch vom rotbraunen Marmor der Eingangshalle wider. In der Mitte der von Stuck gerahmten Decke hängt eine voluminöse Gaslaterne aus dem 19. Jahrhundert, die Victor von Braunsfelds und ihren Schatten flackernd auf den Boden wirft.
Von Braunsfeld stöÃt die Tür zum Wohnbereich auf und lehnt das Gewehr an die mit Stoff bespannte Wand. Lizâ erster Blick gilt dem Kamin, in dem einige zerfallende Holzscheite brennen. Auf dem Sims stehen immer noch die Fotos.
»Setzen Sie sich.« Von Braunsfeld deutet auf die drei Sofas, die um einen groÃzügigen Glastisch in der Mitte des Raumes gruppiert sind.
Liz sieht auf ihre mit Erde verschmutzten Stiefel hinab.
Von Braunsfeld winkt ab. »Der Boden verträgt das. Mooreiche. Nachts sieht man den Dreck nicht, und morgen früh kommt jemand, der ihn wegwischt.«
Liz nickt. Ihr Blick wandert durch den Raum, über die Gemälde, darunter ein Monet und zwei Akte von Renoir, die im Licht von Spotlights glühen, dann über den schwarzen gezackten Kronleuchter, die taupefarbenen Vorhänge und die modernen hellbraun changierenden Stoffsofas. Der extravagante Stil der Einrichtung hatte sie schon bei ihrem ersten Besuch gefangen genommen. Auf eine merkwürdige Art passte alles zueinander, auch wenn bei der Einrichtung alles Mögliche vertreten war: die Moderne, klassizistische Elemente, Anleihen beim Jugendstil und morbide schwülstige Einzelstücke wie zum Beispiel der gotisch anmutende Kronleuchter. Schon damals, als sie hier, in diesem Zimmer, das Interview mit von Braunsfeld drehen durfte, hatten sie die kleineren und gröÃeren Stilbrüche irritiert â gerade so, als lebte von Braunsfeld zwischen den Welten.
»Sie erinnern sich an unsere Vereinbarung?«, hatte er gefragt, als sie sich damals auf den Sofas gegenübergesessen hatten. Das kleine rote Licht an der Kamera glomm bereits.
Liz hatte genickt. Ihr war auch gar nichts anderes übriggeblieben. »Natürlich. Keine Fragen zur Familie.«
Sie starrt zum Kamin hinüber. Die Flammen lecken über die verkohlten Scheite.
»Cognac? Sherry?« Victor von Braunsfeld ist zur Bar gegangen und schwenkt abwechselnd zwei Kristallkaraffen. »Sie sehen aus, als könnten Sie etwas vertragen.«
Liz schüttelt den Kopf. »Wasser.«
Von Braunsfeld zuckt mit den Schultern und gieÃt eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in das geschliffene Kristallglas vor sich. Dann bückt er sich unbeholfen, wie alte Männer es tun, und holt eine Flasche Perrier aus einem elegant verkleideten Kühlschrank.
Liz nähert sich dem Kamin. Ihr Blick überfliegt die gerahmten Fotos, die auf dem Sims dekoriert sind. Die in den Steinen gespeicherte Hitze des Feuers dringt durch ihre Kleidung, und die Wärme lässt sie leicht erbeben. Nach der Tortur der letzten Wochen ist es, als ob die Sonne sie umarmt. Sie zieht die Mütze ab. Ihre roten Haare ragen störrisch in alle Richtungen. Dass sie versucht, sie glattzustreichen, ist ein Reflex. Ihre Aufmerksamkeit ist auf die Fotos gerichtet, insbesondere das zweite Foto von links zieht ihren Blick magisch an. Trotz der Hitze überkommt sie ein eisiger Schauer.
»Also«, knurrt von Braunsfeld.
Liz zuckt zusammen. Von Braunsfelds Blick ruht auf ihr, und sie fühlt sich so durchsichtig und zerbrechlich wie ein Glas.
»Dafür, dass Sie hier einfach so reinspaziert sind, sind Sie ein ganz schönes Nervenbündel. Sie sind mir eine Erklärung schuldig. Warum kreuzen Sie hier mitten in der Nacht auf? Was soll das alles? Und was ist mit Ihnen los? Was haben Sie angestellt?«
Wortlos greift Liz nach dem zweiten Foto von links, dreht sich zu von Braunsfeld um und hält es ihm hin. Ihre Finger zittern. Das Foto hat einen schlichten silbernen Rahmen und zeigt eine
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