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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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ist gerade einmal 25 Hektar groß, liegt in der Havel am Ausgang des großen Wannsees und galt schon in der deutschen Kaiserzeit als Domizil der Berliner Industriellen und Bankiers. In den dreißiger Jahren zog es Nazi-Bonzen wie Joseph Goebbels und Albert Speer nach Schwanenwerder, nach dem Krieg dann den Verlegertycoon Axel Springer – und auch Victor von Braunsfeld. »Alcatraz für Reiche« hatte Liz die Insel in ihrer Dokumentation über von Braunsfeld genannt, in Anspielung auf die Villen, an deren Klingeln kein Name steht und die wie Gefängnisse von hohen Mauern, dichten Hecken und sensorgesteuerten Kameras umgeben sind.
    Als Liz die Brücke überquert, schlägt ihr der Wind ins Gesicht, kalt und scharf, dann peitschen plötzlich harte Steinchen auf ihre Haut, und sie hört es prasseln. Hagel, denkt sie verdutzt. Das ist Hagel. Doch nach einem kurzen Moment verebbt der Eisregen wieder. Sie betritt die Insel und taucht ein in den Schutz der Hecken. Über ihr knarren die alten Baumwipfel. Sie muss an die undurchdringliche Schwärze des Waldes in der Schweiz denken und bekommt eine Gänsehaut.
    Bangemachen gilt nicht.
    An der Gabelung der Inselstraße entscheidet sie sich für den längeren Weg und folgt der Einbahnstraße, die wie eine Henkersschlinge auf der Insel liegt. Sollte die Straße befahren sein, will sie die Scheinwerfer im Rücken haben, nicht im Gesicht.
    Doch sie hat Glück. Die Straße ist menschenleer.
    Nach knapp zehn Minuten erreicht sie von Braunsfelds Grundstück. Ein dreieinhalb Meter hoher schmiedeeiserner Zaun verläuft parallel zur Straße, dahinter schirmt eine dichte Thujenhecke die Villa vor neugierigen Blicken ab. Liz bleibt stehen. Die Einfahrt liegt etwa zwanzig Meter weiter die Straße hinunter, versperrt von einem gewaltigen zweiflügeligen Tor, das von zwei aufwendig gemauerten Torsäulen aus braunem Ziegelstein flankiert wird. Aus fast vier Metern Höhe starren zwei Überwachungskameras auf das Tor hinab, mit rotglühenden Leuchtdioden, die jeden Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Kameras ausräumen.
    Liz weiß, dass es keinen Sinn hat, am Tor zu klingeln. Victor von Braunsfeld kann späten Besuch nicht ausstehen, erst recht nicht, wenn er unangemeldet kommt. Vermutlich ist deshalb die Klingel ohnehin abgeschaltet.
    Sie stellt die Reisetasche ab und sieht am Zaun hoch. Dreieinhalb Meter hohe, massive Vierkantstäbe, gekrönt von einer Reihe langer Eisenspitzen, die wie Speere in die Nachtluft ragen. Das Gefühl des freien Falls kehrt zurück. Sie rast durch die Luft, es ist Sekunden her, dass sie aus dem Flugzeug gesprungen ist, und dennoch wundert sie sich, wie lange der rasende Sturz schon dauert. Der Boden scheint unendlich weit weg, und an der Reißleine für den Schirm zu ziehen hieße, zu kapitulieren vor der Angst. Sollen andere doch die Reißleine ziehen.
    Liz beißt die Zähne zusammen. Sie greift mit einer Hand durch die Stäbe und raschelt an der Hecke, dann wartet sie. Wo, verdammt, sind die Hunde?
    Liz öffnet die Reisetasche und wirft die Kauknochen über den Zaun, dann holt sie die Schraubzwingen heraus. Ihr Unterleib ist angespannt, ihre körperliche Verfassung alles andere als gut. Auch wenn sie so fit wie vor dem Überfall wäre, selbst dann wäre es schwierig geworden – aber jetzt? Und dazu noch mit ihrem Babybauch?
    Mach schnell, verdammt. Jeden Moment kann ein Auto kommen.
    Sie atmet tief durch, dann setzt sie die erste Schraubzwinge auf etwa siebzig Zentimetern Höhe an, an einem der Vierkantstäbe des Zauns, und arretiert die Zwinge mit aller Kraft. Prüfend rüttelt sie daran, dann späht sie durch das dichte Blätterwerk der Hecke und versucht, einen Blick auf die Villa zu erhaschen. Hinter den schwarzgrünen Blättern meint sie, ein paar helle Flecken zu erkennen.
    Immer noch keine Hunde. Merkwürdig.
    Die zweite Schraubzwinge befestigt sie auf Brusthöhe, etwas seitlich versetzt zur ersten Zwinge, dann die dritte auf Kopfhöhe und die vierte und fünfte nebeneinander, so weit oben, wie ihre Arme reichen.
    Ihr Herz poltert, und die Anspannung lässt sie jeden ihrer überforderten Muskeln spüren. Sie greift nach der Reisetasche und steckt ihre Arme durch die Griffe, so dass die Tasche schützend wie ein Prellsack vor ihrem Bauch hängt. Die letzte Schraubzwinge klemmt sie in ihren Mund und presst die

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