Schnitt: Psychothriller
bildschöne Frau mit langen ebenholzfarbenen Haaren, tiefen Ringen unter den Augen und der stoischen Haltung einer Patrizierin. Vor ihr steht ein Teenager, blond, mit wasserblauen Augen, ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Liebevoll hat sie einen Arm um seine Schulter gelegt.
Von Braunsfeld runzelt die Stirn.
»Das ist Ihr Sohn, oder?«
»Markus, ja. Mit meiner Frau Gill.«
»Hatte Ihr Sohn nicht noch einen zweiten Namen?«
Von Braunsfeld zögert einen Moment. »Markus Valerius, ja. Warum?«
Valerius. Liz gefriert das Blut in den Adern. »Seit wann, sagten Sie, ist Ihr Sohn verschollen?«
Von Braunsfelds Augen werden schmal. »Sie brechen mitten in der Nacht bei mir ein, um mich das zu fragen? Haben Sie auf Klatschreporterin umgesattelt? Oder brauchen Sie das, um Ihr Poesiealbum komplett zu kriegen?«
»Weder noch«, sagt Liz leise und fixiert ihn. »Sie wollen eine Erklärung, warum ich hier bin? Das hier«, sie wackelt mit dem Foto, »ist die Erklärung. Seit wann ist Ihr Sohn verschwunden?«
Von Braunsfeld nimmt einen tiefen Schluck aus dem Kristallglas, ohne Liz aus den Augen zu lassen. »Im Oktober 1979, ein paar Tage nach seinem achtzehnten Geburtstag.«
Oktober â79. Liz spürt ein Kribbeln bis in die Fingerspitzen.
»Das ist ewig her, fast dreiÃig Jahre. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass er wohl tot ist. Auf dem Foto«, er kommt langsam auf Liz zu, nimmt ihr das Bild aus der Hand und stellt es zurück an seinen Platz, »da ist er vierzehn. Es ist das letzte gemeinsame Bild der beiden. Ein paar Monate später ist Gill gestorben.«
»1979 ⦠mit achtzehn«, sagt Liz. »Und es gab nie einen Hinweis, was ihm passiert sein könnte? Nicht die kleinste Spur?«
Von Braunsfeld fixiert sie argwöhnisch. »Warum?«
»Weil ich«, sagt Liz leise und versucht, das Zittern in ihrer Stimme zu kontrollieren, »ihm begegnet bin.«
»Das ist unmöglich«, sagt von Braunsfeld brüsk.
»Er hat sich verändert. Sehr verändert. Sein Gesicht«, sie zieht eine Linie mitten durch ihr eigenes Gesicht, »ist zur Hälfte verbrannt. Aber ich bin sicher, er ist es.«
Von Braunsfeld wird blass. »Sie ⦠Sie müssen sich getäuscht haben.«
»Warum? Warum muss ich mich getäuscht haben?«
»Weil ⦠weil er â¦Â« Von Braunsfeld verstummt.
»Ich bin sicher, Victor, absolut sicher. Wissen Sie, warum? Weil Ihr Sohn ein Sadist ist, ein Psychopath. Weil er mich entführt und gequält hat, so, dass ich es mein Leben lang nicht vergessen werde. Sein Gesicht würde ich immer und überall wiedererkennen. Ich kann mich an jede Falte in seinem Gesicht erinnern, ich wünschte, es wäre anders, aber sein Gesicht ist wie eingebrannt in meine Erinnerung.«
Von Braunsfeld ist noch blasser geworden, er sieht aus, als sei ihm der Leibhaftige erschienen.
»Wissen Sie, wohin er mich verschleppt hat? Wo er mich gefangen gehalten hat? In einem Haus in der Schweiz, in Wassen. In einem Haus, das Ihnen gehört.«
»Nein«, flüstert von Braunsfeld entsetzt. »Nein. Nein. Nein.«
»Und die ganze Zeit«, sagt Liz, »die ganze Zeit in meinem Gefängnis hätte ich es wissen müssen. Ich kannte ja sein Gesicht, ich hatte es schon einmal gesehen. Ich wusste nur nicht, wo. Erst als ich ihm entkommen bin und herausgefunden habe, dass ich in Ihrem Haus gefangen gehalten worden war, da wusste ich es; plötzlich konnte ich mich an das Foto auf Ihrem Kamin erinnern.«
Von Braunsfelds Blick schwimmt. Das Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit rutscht ihm aus der Hand und zerschellt auf dem Holzboden. Sein Atem geht lautstark, und er schwankt bedenklich.
Liz macht zwei rasche Schritte auf ihn zu und versucht, ihn zu stützen. Victor von Braunsfelds Beine knicken ein wie dürre Ãste, er sackt in Lizâ Arme, ein haltloser Körper, der sie fast umreiÃt. Sie bemüht sich, ihn sanft zu Boden gleiten zu lassen, während ihr Kreuz vor Schmerzen aufschreit.
»O Gott â¦Â«, ächzt er, »mein Kreislauf. Ich brauche ⦠meine Tropfen â¦Â«
»Ihre Tropfen? Wo sind die?«
»A⦠Arbeitsâ¦zimmer, oberste Schublade von meinem ⦠Schreibtâ¦isch«, stammelt von Braunsfeld.
Liz wirbelt herum und reiÃt die Tür zur Eingangshalle auf.
»E⦠erster
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