Schnitt: Psychothriller
Zähne auf das kalte Eisen.
Und los.
Liz setzt einen Fuà auf die unterste Schraubzwinge, packt mit beiden Händen an die Stäbe des Eisenzauns und zieht sich vorsichtig nach oben. Die Zwinge hält. Dennoch versucht sie, ihr Gewicht möglichst mit den Armen zu halten, um die Zwinge nicht zu sehr zu belasten. Dann setzt sie den linken Fuà auf die Zwinge, die sie zuvor auf Brusthöhe befestigt hat. Wieder nach oben ziehen. Das Metall der Schraubzwinge in ihrem Mund schmeckt widerwärtig nach Ãl. Sie legt den Kopf in den Nacken, sieht die Eisenspitzen auf der Zaunkrone, und alles in ihr krampft sich zusammen. Sie tritt aus sich heraus, sieht sich von oben, wie sie da am Zaun hängt. Momentaufnahmen der letzten Tage blitzen auf, ihr Ausbruch, Yvettes blutbeschmierter Kopf, der gestohlene BMW , der Einbruch in die Boutique, die beiden Kantonspolizisten, die sie mit der Waffe bedroht hat. Und jetzt das hier.
Durchatmen. Weiter.
Ein schneller Blick, die InselstraÃe hinunter. Plötzlich stutzt sie. Hinter der Biegung der InselstraÃe flattert ein schwacher Lichtschein. Bitte nicht jetzt.
Hastig setzt sie ihren rechten Fuà auf die nächste Schraubzwinge, zieht sich nach oben.
Nun ist auch der Motor zu hören, das gedämpfte, kraftvolle Grollen eines Sportwagens. Die Scheinwerfer tauchen auf, Regentropfen glitzern im Licht. Linker Fuà nach oben, den rechten hinterher. Sie steht auf den letzten beiden Schraubzwingen in etwa zwei Metern Höhe, aber es reicht noch nicht, um die Krone des Zauns zu erreichen. Mit dem linken Arm hakt sie sich in den Zaun ein, nimmt mit der Rechten die letzte Zwinge aus dem Mund und setzt sie etwa auf Hüfthöhe an. Das Motorgeräusch rückt näher wie ein knurrender Hund. Sie keucht vor Anstrengung, während sie gleichzeitig versucht, sich festzuhalten und die Schraubzwinge so stark wie möglich zu arretieren.
Jetzt.
Den Fuà auf die Zwinge, an den Stäben hochziehen. Die Zaunspitzen sind jetzt auf Hüfthöhe. Gerade als sie sich mit dem Bauch und der schützenden Reisetasche voran auf die Eisenspitzen legt, gibt die Schraubzwinge unter ihrem Fuà nach. Mit einem hässlichen Geräusch schrammt die Stahlzwinge an dem eisernen Zaun hinab. Liz greift panisch nach den Eisenstäben und rudert mit den Beinen. Sie liegt auf den Zaunspitzen wie auf der Schneide eines Messers; Kopf und Brust ragen auf von Braunsfelds Grundstück, die Beine und der Hintern hängen auf der StraÃenseite. Nur die Tasche vor ihrem Bauch schützt sie davor, aufgespieÃt zu werden. Plötzlich hat sie panische Angst, hier und jetzt zu sterben, auf einem Zaun mit Eisenspitzen, bei einem plumpen ungeschickten Einbruchsversuch, bei dem sie kopflos ihr Leben riskiert, nur weil sie meint, nach Beweisen suchen zu müssen, wofür doch eigentlich die Polizei zuständig wäre. Sie spürt, dass der freie Fall endlich ist, dass der Boden gefährlich nah gekommen ist, dass sie aufschlagen wird, nur weil sie nicht bereit ist, ihrer Angst nachzugeben.
Wie in einer Zeitlupe kippt sie zurück in Richtung StraÃe. Ihr Gesicht und ihr Hals schweben direkt über den Spitzen; wenn sie jetzt abrutscht, bohrt sich der Zaun von unten durch ihren Kehlkopf und dann in ihr Gehirn. Mit einer verzweifelten letzten Kraftanstrengung wirft sie ihre Beine nach oben. Die Arme brennen wie Feuer, als sie versucht, ihren Oberkörper über den Schwerpunkt hinauszuziehen, ihr Bauch schmerzt entsetzlich, und ihr schieÃen Tränen in die Augen.
Die Scheinwerfer des Sportwagens nähern sich unbarmherzig dem Zaun. Wie eine Reihe von Speerspitzen bohrt sich der Zaunkamm in das dicke Leder der Reisetasche. GleiÃendes Halogenlicht erfasst die Mauer des Nachbargrundstücks, der Sportwagen knurrt bedrohlich nah. Liz spürt den Druck der Zaunspitzen stumpf auf ihrer Brust. Beine hoch, Kopf runter. Noch ein Stück, ein kleines Stück, verdammt. Dann kippt sie nach vorne, mit dem Kopf voran über die Zaunspitzen, hinab auf Victor von Braunsfelds Grundstück.
Die Thujenhecke bremst ihren Sturz, ein paar gebrochene Astenden kratzen scharf über ihr Gesicht. Im selben Moment röhrt der Sportwagen vorbei, ein gelber Ferrari, flach wie ein Rochen.
Schwer atmend rappelt sich Liz auf. Ihre Muskeln zittern unkontrolliert. Der Boden unter ihren FüÃen fühlt sich unwirklich an, als befindet sie sich immer noch im Fall. Sie lauscht in die
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