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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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Sto-ock.«
    So schnell sie kann, eilt sie die Treppe empor, die in einem länglichen, mit grünem Stoff bespannten Flur mündet, links und rechts sind mehrere dunkle Kassettentüren. Ohne nachzudenken, reißt sie eine Tür nach der anderen auf. Im dritten Zimmer steht ein wuchtiger antiker Schreibtisch. Sie stößt den Ledersessel dahinter beiseite und zieht die oberste Schublade heraus. Klappernd rollt ihr ein bräunliches Arzneimittelfläschchen mit weißer Verschlusskappe entgegen, auf dem Etikett steht Effortil.
    Bingo.
    Sie will gerade wieder zur Tür, da fällt ihr Blick auf eine Chaiselongue, und sie erstarrt. Auf dem dunkelgrauen Stoff liegt ein Mann in einem ebenfalls grauen Trenchcoat. Er hat eine Platzwunde am Kopf, und seine Arme und Beine sind verschnürt. Augenscheinlich ist er bewusstlos. Seine Lider unter der dünngefassten runden Brille flattern leicht. Er ist Ende fünfzig, sein Haar ist schütter, seine Gestalt schmal, ebenso wie seine blassen Lippen. Ein Buchhalter, denkt Liz, er sieht aus wie ein Buchhalter. Auf dem Fußboden liegt ein grauer Hut.
    Liz’ Gedanken überschlagen sich. Langsam weicht sie zurück. Die Angst packt sie wie ein alter Feind, der ihre schwachen Stellen kennt, und schüttelt sie. Sie versucht, eine Erklärung dafür zu finden, warum in Victor von Braunsfelds Arbeitszimmer ein bewusstloser, gefesselter Mann liegt. Doch sie findet keine Erklärung, und das macht ihr noch mehr Angst.
    Obwohl der Mann wehrlos ist und die Augen geschlossen hat, traut sie sich kaum, an ihm vorbeizugehen, gerade so, als könnte er jeden Moment aufspringen und sich auf sie stürzen. Im Geiste zählt sie langsam bis zehn.
    Dann öffnet sie die Augen und fixiert ihr Ziel: die Tür zum Flur.
    Auf Zehenspitzen schleicht sie an dem bewusstlosen Fremden vorbei. Leise zieht sie die Tür hinter sich zu und eilt hinunter ins Wohnzimmer, die Kreislauftropfen fest in der Hand.
    Als sie die Tür zum Wohnraum aufreißt, findet sie von Braunsfeld halb liegend, halb sitzend auf dem Fußboden, an eines der Sofas gelehnt. Ermattet streckt er die Hand nach dem Medikament aus. Er merkt nicht, wie sehr Liz’ Finger beben. Von Braunsfeld dreht das Fläschchen auf, legt den Kopf in den Nacken und lässt das Kreislaufmittel in seine Mundhöhle tropfen.
    Als er die Flasche wieder absetzt, blickt er in die Mündung des Jagdgewehrs. Liz starrt ihn an, mit von Furcht geweiteten Pupillen.
    Von Braunsfeld ächzt. Erschöpft lässt er den Kopf wieder zurücksinken. »Hören Sie, Liz, ich … ich kann nichts dafür; was mein Sohn Ihnen angetan hat, dass … ich …«
    Â»Wer ist der Mann da oben?«, fragt Liz mit zitternder Stimme. Der einzige Grund, warum sie nicht zusammenbricht, ist das Gewehr in ihren Händen – auch wenn sie nicht die blasseste Ahnung hat, wie man damit umgeht.
    Â»Der Mann … wo ?«
    Â»Der bewusstlose und gefesselte Mann in Ihrem Arbeitszimmer. Wer ist das?«
    Â»Ich … habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, murmelt von Braunsfeld verwirrt.
    Â»Da oben«, sagt Liz mühsam beherrscht, »liegt ein Mann auf der Chaiselongue, Ende fünfzig, Brille, eine Platzwunde am Kopf und verschnürt wie ein Paket …«
    Von Braunsfeld sieht sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Er stemmt seine Hände in den Holzboden, versucht, sich aufrecht hinzusetzen, aber die Kraft reicht noch nicht ganz. »Liz, ich habe keine Ahnung, was Sie meinen. Aber bitte, in Gottes Namen, legen Sie das Gewehr weg.«
    Liz bewegt sich nicht einen Zentimeter.
    Â»Liz, bitte.« Seine Haut nimmt allmählich wieder Farbe an. »Meine Hunde mögen Sie wirklich gerne, aber sie haben ein sicheres Gespür für bedrohliche Situationen. Und ich will nicht, dass die beiden Sie zerfleischen.«
    Â»Was ist mit dem Mann?«, insistiert Liz.
    Â»Al? Dex?«, ruft von Braunsfeld. »Hier!«
    Â»Halten Sie den Mund.«
    Â»Al! Dex! Hiiier! «
    Stille.
    Liz hält die Luft an, lauscht und erwartet, jede Sekunde das Kratzen von Pfoten auf dem spiegelblanken Parkett zu hören.
    Aber nichts geschieht.
    Â»Wo sind die Hunde?«, flüstert von Braunsfeld. »Was haben Sie mit meinen Hunden gemacht?«
    Liz blinzelt. » Ich? Nichts. Ich hab nichts …« Sie verstummt und starrt von Braunsfeld an. Der bewusstlose Mann, die Hunde … O

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