Schnitt: Psychothriller
weg und so bleich, mit einem Gesichtsausdruck, den er noch nie an sich gesehen hat.
»Es gab Dutzende Filme, mein Vater hat sie sich wieder und wieder angesehen. Und niemand wusste davon. Niemand! Auch ich nicht. Ich habâs auch erst erfahren, als es zu spät war. Nicht mal seine feinen Freunde wussten, dass sie gefilmt werden. Hätten sieâs gewusst, dann hätten sie sich wahrscheinlich vor Angst in die Hosen gemacht, die Herren Anwälte, Richter und Politiker! Haben sie dann ja schlieÃlich auch ⦠« Er verzieht den Mund zu einem furchteinflöÃenden Lächeln und sieht auf Liz herab, auf die Klinge, die in ihrem Schoà steckt.
Gabriels Puls galoppiert. Kalter Schweià überzieht seinen Körper. Mit aller Kraft versucht er, die entsetzlichen Bilder des Films, die empordrängen, in Schach zu halten.
»Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand«, raunt Valerius, » das AuÃergewöhnliche ihren Wert! Noch einmal Oscar Wilde. Mein Vater hat diesen Scheià geliebt. Er hatâs nur nicht gelebt. Ich habâs gelebt. Ich!«, brüllt er.
Ich â¦
ich â¦
ich ⦠, echot das Kreuzgewölbe.
»Als ich der Kleinen das Messer in die Fotze gerammt hab, das warâs, verstehst du? Ihr Blick, als ich es aufwärtsgezogen habe und sie in sich selbst hineingucken konnte, das war auÃergewöhnlich! AuÃergewöhnlicher als alles, was er je getan hat, mein hochheiliger Herr Vater â¦Â«
Das letzte Wort verhallt in der Krypta. Dann durchdringt das leise Klirren der Ketten die Stille.
Gabriel wagt es nicht, Liz anzusehen. Er will die Augen schlieÃen, sich an einen anderen Ort wünschen, wie er sich schon damals, mit elf, aus dem Labor gewünscht hatte, und gleichzeitig weià er, dass er noch nicht einmal blinzeln darf, denn in der Dunkelheit, hinter den geschlossenen Lidern, lauern die Bilder des sterbenden Mädchens.
»Ich stelle mir deinen Vater vor«, sagt Valerius. »Wie er hinter dem Spiegel steht, mit seiner Kamera, und sich in die Hosen macht, so wie alle anderen hier drinnen auch. Keiner von diesen elenden Feiglingen ist zu irgendetwas zu gebrauchen gewesen. Und weiÃt du, was dann passiert ist, nachdem alle weg waren? Ich sehe ihn vor mir, meinen Vater, wie er immerzu um die Leiche rennt, und höre ihn reden, immer das Gleiche, als ob er betet:
Das bringst du in Ordnung, sagt er.
Was bringe ich in Ordnung?, frage ich und denke: Was soll das? Die ist tot. Da ist nichts mehr in Ordnung zu bringen.
Und er sagt: Das mit dem Film. Ich muss den verdammten Film haben.
Welchen Film?, frag ich ihn. Von was redest du?
Und er starrt auf den Spiegel da und erzählt mir von deinem Vater und seiner ScheiÃkamera und dass er immer alles gefilmt hat und deshalb auch das mit dem Mädchen. Und dass wir alle auf diesem Film zu sehen sind. Ohne Maske. Da wusste ich, was er meinte!
Hast du schon einmal dein Herz laut schlagen hören, laut und schnell, und bist ganz still geworden deswegen? Und dann wird es langsamer, dein Herz, du kannst von Schlag zu Schlag hören, wie es ruhiger wird.
Das war so ein Moment. Der Moment, bevor man etwas tut, von dem man weiÃ, dass es eine Bedeutung für das ganze Leben hat. Ich wusste, das ist mein Moment!
Also bin ich los, um es in Ordnung zu bringen. Um den Film zu holen und deinen Vater. Es hätte meine Nacht werden müssen. Meine! Und dann ist es deine Nacht geworden.«
Gabriel starrt Valerius mit offenem Mund an. Meine Nacht? , denkt er. Meine Eltern sind tot, mein Zuhause ist abgebrannt, und das soll meine Nacht gewesen sein? Die Wut überkommt ihn so heftig, dass er glaubt, von ihr aufgefressen zu werden.
»Du hast gedacht, ich bin tot, nicht wahr? Verbrannt. Verkohlt. Das wäre wohl auch besser gewesen«, sagt Valerius und sieht gedankenverloren auf Liz hinab. Der rote Punkt ruht auf der Stirn seines Spiegelbildes. Dann hebt er den Blick. »Ich weiÃ, ich weiÃ. Ich sollte dankbar sein, dass ich da überhaupt rausgekommen bin â¦
Es gab noch ein kleines Hinterzimmer im Labor, mit einem Klo, wusstest du das? Ich habe Tücher in der Kloschüssel nass gemacht, Wasser über mich und die Tür gespritzt, gespült und wieder gespritzt, zwischendurch habe ich sogar gegen die Tür gepinkelt, damit sie nass bleibt, und geamtet habe ich durch die Lüftung â¦Â«
Gabriels Blick ist auf Valeriusâ
Weitere Kostenlose Bücher