Schnitt: Psychothriller
gewöhnen sich langsam an das Licht. Inzwischen kommt ihr der Raum dunkler vor. Ihr Blick tastet sich durch das Zimmer und über die Wände. Keine Fenster, keine Blumen, kein weiteres Bett. Immerhin. Wenigstens hatte man sie in einem Einzelzimmer untergebracht. Sie hasst Krankenhäuser wie die Pest, aber noch mehr hasst sie es, mit anderen Leuten auf einem Zimmer liegen zu müssen. Der ewige Besuch, fremdes Schnarchen, fremder Husten ⦠Danke, Gabriel.
Aber wo ist er? Wo ist Gabriel?
Sie versucht, sich ein wenig nach rechts zu drehen, dorthin, wo die Tür ist. Ein stechender Schmerz auf der Höhe ihrer Rippen bringt sie davon ab. Im selben Augenblick erschrickt sie bis ins Mark. Das Baby! Was ist mit dem Baby?
Mühsam hebt sie ihre rechte Hand und tastet nach ihrem Bauch. Die Kanüle im Arm drückt.
»Ich glaube, mit dem Baby ist alles in Ordnung«, hört sie die Schwester tonlos sagen. Ihre grauen Augen ruhen auf Lizâ Bauch.
Gott sei Dank! Aber warum klingt bei ihr ein »alles in Ordnung« so, als ob nichts in Ordnung wäre?
»Er wird gleich hier sein, er muss noch telefonieren«, flüstert die Schwester. »Bleiben Sie einfach ruhig liegen. Das ist das Beste.«
Ruhig liegen. Liz muss beinah lachen. Etwas anderes geht ohnehin nicht. Aber warum flüstert die Schwester? Und wer kommt? Gabriel? Der Arzt?
Erschöpft schlieÃt sie die Augen und dämmert langsam davon.
Kapitel 18
Berlin â 2. September, 12:59 Uhr
»Hier können wir nicht parken, du musst zurück. Der Besucherparkplatz war ganz da â«
Shona bremst ruckartig und schlägt das Lenkrad nach links ein. »Genau deswegen«, sagt sie und steuert den Wagen über die hohe Bordsteinkante auf den gepflegten Rasen, genau zwischen zwei junge Bäume, »habe ich einen Jeep.«
Der Dieselmotor ihres ozeanblauen Defenders verstummt mit einem Gurgeln. »Alles klar? Willst du alleine rein?«
David blickt durch die Windschutzscheibe direkt auf den dreistöckigen geometrischen Ziegelbau. Vivantes Klinikum Friedrichshain. Ihm wird unwohl. Dann seufzt er und strafft die Schultern. »Wenn du willst, kannst du gerne mitkommen.«
Er steigt aus und wirft die Beifahrertür von Shonas Landrover zu. Ein kalter Windstoà streicht über das Wagendach und weht Staub in sein Gesicht. Die stumpfe graue Tür schreit nach einer Lackierung.
»Sag mal, hab ich das richtig verstanden?«, fragt Shona und läuft um die kantige Kühlerhaube des Wagens herum. »Es geht um Liz Anders? Die Liz Anders?«
David sieht sie überrascht an. »Du kennst sie?«
»Na, hör mal, um den Namen kommt man ja beim Fernsehen schlecht drum herum. Mrs Journalismus. Der Feuermelder. Was ist denn mit ihr?«
»Angeblich ist sie überfallen worden«, sagt David und beschleunigt seine Schritte. Der Himmel hängt grau über dem Klinikum. Die breite Glastür wirft ihnen ihr Spiegelbild entgegen und wischt dann leise zischend zur Seite. Die Lobby ist riesengroà und weià wie ein Gletscher; es riecht nach Bohnerwachs und Sterilität. Am liebsten würde er auf dem Absatz kehrtmachen. Krankenhäuser und Kliniken jeder Art verursachen bei ihm immer noch dasselbe Gefühl wie damals. Obwohl er gerade mal sieben Jahre alt gewesen war, hatte sich jedes Detail in sein Gehirn eingebrannt, vom Namensschild der Schwester bis zu dem verbrannten Geruch seines Schlafanzugs, den er unter keinen Umständen hatte ausziehen wollen.
Er blinzelt kurz, und der Geruch in seinem Kopf verfliegt. Weiter hinten, auf der linken Seite, streckt sich ein langer Buchenholztresen wie ein überdimensioniertes Kantholz, dahinter thront ein Gebirge von einem Mann. Der Pförtner. David steuert direkt auf ihn zu.
»Und was hat das alles mit dir zu tun?«, fragt Shona.
»Mit mir nichts. Mit meinem Bruder. Liz Anders ist offenbar die Freundin meines Bruders.«
»Ups. Ihr seid ja âne richtige Fernsehfamilie. Sind deine Eltern auch bei der Firma?«
Davids Miene verdunkelt sich. »Meine Eltern sind tot.«
»Oh ⦠tut mir leid«, sagt Shona. »Das wusste ich nicht.«
»Schon okay.« Er presst die Lippen aufeinander. Nichts ist okay. Sofort ist alles wieder da. Die Bilder wirbeln um ihn herum wie Wasser nach einem Turmsprung, so lebendig wie seit Jahren nicht mehr. Das frische, zähflüssige Blut, die beiden Leichen, der in den Augen
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