Schnitt: Psychothriller
Röntgenaugen und könne durch die Tischplatte sehen. »Als Sie den Kadettenweg verlassen haben«, fährt er leise fort, »haben Sie da eigentlich die Alarmanlage abgeschaltet?«
»Nein.«
Grell mustert ihn wortlos. Dann lehnt er sich nach vorne, über den Tisch, und starrt Gabriel aus schmalen Augen an. Die Lampe über der Tischplatte brennt hell auf seinen blanken Schädel herunter und wirft schwere Schlagschatten in sein Gesicht. Der Schatten von Grells Nase teilt seine fleischigen Lippen in zwei Hälften. »Und wie erklären Sie es sich dann, dass die Alarmanlage in der Nacht abgeschaltet wurde?«
Gabriel stutzt. »Keine Ahnung.«
»Etwas viel âºkeine Ahnungâ¹ für meinen Geschmack«, sagt Grell leise. »Die Haustür war übrigens auch geschlossen, sogar abgeschlossen . Genauso wie das Tor.«
Gabriel sieht ihn verblüfft an. Er öffnet den Mund, will etwas sagen, klappt ihn dann aber rasch wieder zu.
»Und wissen Sie, was Ihr Chef, Herr Sarkov, mir gesagt hat? Er hatte ausdrücklich Ihren Kollegen Cogan in den Kadettenweg geschickt und nicht Sie!« Grell lehnt sich gewichtig im Stuhl zurück. Sein Gesicht schwebt im Halbdunkel wie ein fahler steinerner Mond.
»Ich weië, murmelt Gabriel. »Trotzdem bin ich gefahren, Cogan hatte Probleme mit seinen Beinen.«
»Mit seinen Beinen. Aha«, sagt Grell. »Uns hat er davon nichts erzählt. Er hat nur gesagt, dass er im Kadettenweg war, dass es keine besonderen Vorkommnisse gab, dass er die Anlage abgeschaltet hat, die Türen verschlossen und dann gegangen ist.«
»Schwachsinn«, sagt Gabriel heiser. »Er hat nur Angst, dass Sarkov rauskriegt, dass er nicht gefahren ist. Wenn er jetzt hier säÃe, würde er Ihnen die Geschichte genau andersrum erzählen.«
»Weil er dann vor Ihnen Angst hätte?«, fragt Grell und starrt ihn an, durchdringend und lauernd.
»Nein, verdammt. Weil es so war«, sagt Gabriel.
Grell beobachtet ihn regungslos aus dem Halbdunkel heraus. Hinter Gabriel ist ein leises rhythmisches Schmatzen zu hören â der Vierschrötige und sein Kaugummi.
»Also, ich fasse das mal zusammen«, säuselt Grell unnatürlich freundlich. »Wir haben zwei Zeugen, die behaupten, Cogan sei im Kadettenweg gewesen und nicht Sie. Wir haben jede Menge Details, die von Ihnen ganz anders beschrieben werden, als wir sie vorgefunden haben. Und wir haben ein schwarzes Kleid im Keller, das offenbar nur in Ihrer blühenden Phantasie existiert. Aber Sie behaupten immer noch, Ihre Version ist die Wahrheit und alle anderen liegen falsch, ja?«
Gabriel nickt.
Grells massiger Oberkörper schnellt nach vorne. Der Lichtkegel der Lampe zittert ob der plötzlichen Bewegung. »Dann erklären Sie mir doch bitte, wie Sie den Todeszeitpunkt derart präzise benennen konnten. Sind Sie Hellseher? Oder haben Sie zufällig auf die Uhr gesehen, als Sie Herrn Münchmaier den Hals aufgeschlitzt haben?«
»Nein«, sagt Gabriel gepresst. Sein ganzer Körper verkrampft sich. »Keins von beidem. Aber ich hab Ihre ScheiÃleiche angefasst! Und eine Leiche ist nach dreiÃig Minuten zwar schon kalt, aber erst nach einer Stunde setzt die Totenstarre ein. Ihr Körper war eis kalt, aber nicht starr. Wenn man dann noch die Uhr lesen kann, dann muss man kein Genie sein, um den Todeszeitpunkt zu bestimmen. Zufrieden?«
Grell schürzt die Lippen.
»Hören Sie«, sagt Gabriel und ringt mühsam um Beherrschung, »Ihr Kollege hat Ihnen doch sicher auch erzählt, dass ich einen Unfall hatte auf dem Weg. Sie müssen nur die Leute mit dem Jaguar finden. Das kostet Sie fünf Minuten, mehr nicht. Nur die Anzeigen von gestern durchsehen, alles zwischen elf und zwölf Uhr nachts. Die beiden erkennen mich todsicher wieder.«
Grell nickt bedächtig mit dem Kopf, dann lächelt er. »Ach ja, richtig. Die Sache mit der Fahrerflucht. Das hätte ich fast vergessen.«
Gabriel lehnt sich zurück und atmet aus. Er spürt, wie sich die Spannung in seinem Körper löst. Lieber Fahrerflucht als Mord.
»In der Tat«, sagt Grell. »Es hat sogar weniger als fünf Minuten gedauert. Aber ich muss Sie enttäuschen. Keine Anzeige weit und breit. Kein Unfall. Nichts.«
»Was?« Gabriel starrt den Kommissar ungläubig an. »Und was glauben Sie, warum mein Kotflügel aussieht wie ein
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