Schnitzelfarce
beiläufig zu und
ging dann zu einer Bekannten, die sie auf der anderen Seite der Sommergasse
entdeckt hatte.
Immerhin hatte es Palinski auch geschafft, die Aufmerksamkeit
Dr. Ladaks auf sich zu ziehen. »Unserem jungen Freund da dauert meine Rede
offenbar schon zu lange«, wies ihn ›the grand old man‹ scherzhaft zurecht. »Sonst
tät er ja net den hübschen Döblingerinnen so ungeniert zuwinken. Oder?«
Schallendes Gelächter des dankbaren Publikums war der Lohn für diesen
rhetorischen Geniestreich. »Aber ein bisserl wern Sie schon noch warten müssen,
der Herr .« Jetzt lachte auch Palinski. Was sollte er
anderes tun, ohne Gefahr zu laufen, als humorlos abgestempelt zu werden.
Nun griff Ladak auch in den Wahlkampf ein. Recht raffiniert,
denn er lobte die Leistungen des Magistrats, anerkannte gleichzeitig aber auch
die der in den Händen einer anderen Partei liegenden Bezirksverwaltung in
höchsten Tönen. »Sie werden sich schon richtig entscheiden, meine Damen und
Herren. Hauptsache ist, Sie entscheiden sich überhaupt. Denn Wählen ist des
Demokraten höchstes Recht. Und meinem Freund Hektor«, Ladak pflegte jeden, mit
dem er einmal gesprochen hatte, als ›Freund‹ zu bezeichnen, außer er mochte ihn
absolut nicht. »Meinem Freund Hektor Wiener gratuliere ich zu diesem
wunderbaren neuen Betrieb und wünsche ihm viel Erfolg für die Zukunft .«
Er trat vom Pult weg und schüttelte dem herantretenden Stadtrat
Ansbichler demonstrativ die Hand. »Komm, lieber Robert. It’s your time now, wie
wir Germanisten zu sagen pflegen .« Hahaha.
Das dürfte der obligatorische Abschiedsschmäh gewesen sein, für
den der alte Herr berühmt-berüchtigt war. Höflicher, rasch abflauender Applaus
begleitete seinen Abgang.
Ing. Robert Ansbichler, der bullige, amtsführende Stadtrat für
Tourismus und Freizeit war durch und durch Pragmatiker. Wichtig war, was ihm
diente und wichtig war auch, was der Partei diente. Besonders wichtig war daher
alles, was ihm und der Partei diente. Mit einem gut entwickelten Gespür für die
menschliche, im Besonderen die Wiener Seele, inszenierte er seine Auftritte wie
der 90-Jährige »und noch immer kein bisschen müde« Regiealtmeister Karl
Enterich seinerzeit seine erfolgreichen Herz-Schmerz-Filme. Ein bisserl was
fürs Herz, ein bisserl was fürs Gemüt, aber auch etwas zum Lachen und zum
Weinen.
Aus diesem Grunde schleppte er auch seine nach einem Unfall von
den Hüften abwärts gelähmte und daher an den Rollstuhl gefesselte Frau seit
einigen Wochen zu allen möglichen Veranstaltungen mit. Dabei achtete er darauf,
dass sie sich mit ihrem Rollstuhl immer knapp hinter ihm nahe am Rednerpult
befand. So war sie für alle Anwesenden unübersehbar und damit auch sein
beispielhaftes Verhalten ihr gegenüber. Er unterstrich dieses zu Herzen gehende
Bild gerne noch durch ein beiläufiges Streicheln über Carolas Haare. Oder er
umarmte sie ›spontan‹ und rührte die Massen damit. Um die optische Wirkung
dieser Dramaturgie noch zu unterstützen, hatte er seiner Frau sogar einen
Rollstuhl mit ausfahr- und fixierbaren Teleskopbeinen konstruieren lassen.
Damit konnte ihre Sitzposition um bis zu einem halben Meter angehoben und seine
›geliebte Frau‹ auch für die Leute in den hinteren Reihen sichtbar gemacht
werden.
Den gar nicht so wenigen, insgesamt aber nur eine Minderheit
darstellenden Kritikern von Ansbichlers penetrantem Verhalten war völlig
unklar, warum Dr. Carola Ansbichler-Schmuck, eine anerkannte Sozialpädagogin
und Eigentümerin von fünf gutgehenden Hotels in Wien sich so
instrumentalisieren ließ. Dass sie sich von ihrem Robert aus lauter Liebe so
vorführen ließ, wurde nur ganz entfernt als ernsthaftes Motiv in Betracht gezogen.
Carola war natürlich auch heute wieder dabei und ragte etwa
dreißig Zentimeter über die Köpfe der anderen Ehrengäste hinaus. Wie zufällig
stand ihr Rollstuhl so im Nahbereich des Rednerpults, dass ihrem Mann ein
winziger Sidestep genügte, um zur Verstärkung seiner Ausführungen Hand an seine
Frau legen zu können.
Ein Blick auf die langsam unruhig werdende Menschenmenge und ein
zweiter auf die dunkle, immer näher kommende Wolkenfront ließ es Ansbichler
angebracht erscheinen, sich möglichst kurz zu fassen, Weniger würde heute
eindeutig mehr sein, wusste der erfahrene Demagoge.
»Zunächst wollen meine Frau und ich«, er legte Carola seinen Arm
auf die Schulter und hatte diesen
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