Schnitzelfarce
Gott sei Dank hatte Harry vor knapp
zwei Wochen seinen Schein gemacht. Gleich beim ersten Antreten.
Als er die Straße erreicht hatte, war sein Sohn aber, wie häufig
in solchen und ähnlichen Situationen, plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.
So sehr Palinski sich bemühte, er konnte Harry nirgendwo entdecken.
Da kam auch schon Wiener angelaufen, um ihn zu holen. »Sie
müssen kommen. Wir fangen jetzt mit der Eröffnung an und Sie spielen eine
wichtige Rolle dabei .« Er zwinkerte Palinski
verschwörerisch zu und klopfte ihm plump-vertraulich auf die Schulter.
Würde mich nicht wirklich wundern, wenn der Kerl bisexuell wäre,
dachte Palinski und ergab sich seinem Schicksal.
* * * * *
Während Palinski noch über Hektor Wieners
sexuelle Ausrichtung spekulierte und dabei seinem Schnitzel den letzten Schliff
gab, begann der Entführer, rund 5,2 Kilometer Luftlinie von ›Wieners Beisl-Bar‹
entfernt, die Taschen von Eugen Filzmayers total verdrecktem Anzug zu leeren.
Aus der Brieftasche seines ehemaligen obersten Chefs nahm er die rund 1 200
Euro Bargeld, zwei Eintrittskarten für eine Veranstaltung in der Stadthalle
sowie vier Gutscheine zum begünstigten Bezug eines ›Big Flops‹ + eines Bechers
Cola, gültig bis Ende des Monats. Also, entweder hatte sich der Herr
Kommerzialrat völlig anders ernährt als der Entführer das bisher angenommen
hatte oder er hob die Gutscheine für jemanden anderen auf. Wahrscheinlich für
das nette kleine Mädchen, das er hin und wieder in Gesellschaft des Alten
gesehen hatte.
Na, diese Gutscheine haben kein Mascherl, dachte
er, vielleicht konnte er seinen Kindern damit eine Freude machen.
Die übrigen Habseligkeiten des Toten wie Schlüsselbund, Kamm,
Feuerzeug, das legendäre lederne Zigarrenetui, das schwarze Notizbuch und die
Füllfeder legte er in ein Plastiksackerl, das er später im Wald vergraben wollte.
Komisch, dachte der Entführer, objektiv muss es hier
fürchterlich stinken. Aber ich bin seit zehn Minuten in dem Verschlag und
rieche überhaupt nichts mehr. Wie schnell sich der Mensch doch den Umständen
anpasst.
Er wollte schon damit beginnen, die Leiche zu entkleiden, um sie
zu waschen, als seine Gedanken noch einmal zu dem wertvollen Schreibgerät in
dem Einkaufssackerl zurückkehrten. Von Kindheit an hatte er ein Faible für
schöne, wertvolle Füllfedern gehabt. Er liebte diese noble Art des Schreibens
ebenso, wie er das seelenlose Gekritzel mit den heute so dominanten
Kugelschreibern hasste. Das war tatsächlich eine Aurora St. Petersburg, ein aus
Anlass des 300. Gründungstags der Ostseemetropole in limitierter Auflage
hergestelltes Schreibgerät der ganz besonderen Klasse. Er brachte es nicht
übers Herz, sich von dem eben gefundenen Kleinod zu trennen und nahm es an
sich. Er würde es so gut verstecken, dass niemand es finden und ihn damit
belasten konnte. Übrigens bedeutete ›limitierte Auflage‹ ja nicht, dass nicht
auch jemand anderer ein so schönes, seltenes Stück haben konnte.
Nachdem er die Bekleidungsstücke des alten Herrn verbrannt und
den Leichnam gewaschen hatte, schlug er diesen in ein großes weißes Leintuch
ein und trug ihn respektvoll zu dem kleinen Schuppen hinter dem Haus, in dem
Holzscheite für den Winter gestapelt waren. Hier bahrte er den Toten förmlich
auf den bis zu einer Höhe von zwei und auf eine Breite von etwa eineinhalb
Metern geschichteten Scheiten auf. Über das Leichentuch breitete er eine
dunkelgraue Decke und darüber noch eine dicke, schwarze und
wasserundurchlässige Plastikfolie. Dass er mit dem Kommerzialrat noch einiges
Geld machen wollte, war eine Sache. Dass dem Toten der nötige Respekt entgegen
gebracht wurde, eine völlig andere.
Ehe er das kleine Haus endgültig für heute verließ, öffnete er
die kleine Luftklappe im Kellerverschlag sowie die Türe. Bis morgen würde sich
der jetzt auch wieder von ihm wahrgenommene Gestank hoffentlich verflüchtigt
haben.
* * * * *
Leider schienen die Wettervorhersagen, die für
den Nachmittag bedecken Himmel angekündigt und regionale Regenschauer nicht
ausgeschlossen hatten, wieder einmal zuzutreffen. Der Himmel hatte sich ein
diffuses, milchig weißes Kleid angelegt. Im Nordwesten zog langsam eine Front
dunkler Wolken auf und gelegentliche Windstöße brachten die sich bereits leicht
färbenden Blätter der Bäume zum kollektiven Rauschen.
Hektor Wiener blickte besorgt nach oben. Er
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