Schnitzelfarce
Brisanz, die der Fall ›Ansbichler‹ in sich barg, natürlich völlig
bewusst war, hatte noch gestern Abend seinen Parteivorsitzenden und
Regierungschef Dr. Waidling von den jüngsten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt.
Der alte Fuchs war schlagartig hellwach gewesen und hatte den Obmann der mandatsstärksten
Oppositionspartei kurz nach Mitternacht bei einer Verkostung seltener
Weinspezialitäten aus dem Chianti gestört. Dipl. Ing. Glanburger hätte sich bei
Erhalt der erschütternden Nachricht fast an einem zu großen Schluck
›Monteverdine - Le pergole torte 1986‹ verkutzt. »Das kommt davon, wenn man den
Mund zu voll nimmt, Hans«, hatte sich der für seinen selbstkritischen Humor
bekannte Politiker gedacht, eher er gegen Viertel vor eins Bürgermeister
Lattuga aus dem Bett holte.
Auf die Idee, den für die zugrunde liegende Problematik nicht
ganz unzuständigen Justizminister zu informieren, kam keiner der vier Herren
auch nur eine Sekunde lang. Der einer dritten Partei angehörende Politiker
würde eine Lösung des höchst delikaten Problems nur übermäßig verkomplizieren.
Jetzt saßen die vier wichtigen Männer im gemütlichen
Hinterzimmer eines kleinen, für seine gute Küche und verschwiegenen Mitarbeiter
bekannten Restaurants in der Innenstadt. Das relativ bescheidene Essen war
bereits beendet, der Kaffee serviert.
Statt der üblichen Zigarren rauchten heute
aber nur einige der besten Köpfe im Lande. Zumindest im Selbstverständnis
dieser Köpfe. Im Großen und Ganzen bestand Konsens darüber, dass »der Deckel
bis nach den Wahlen auf dem Topf bleiben müsse .« Eine
offizielle Untersuchung gegen den Stadtrat und eine, schon aus heutiger Sicht
als wahrscheinlich anzusehende Verhaftung barg immense Gefahren für beide
Parteien. Das war allen am Tisch völlig klar.
»Das kann in beide Richtungen hin einen Erdrutsch bringen. Entweder
die Leute sind entsetzt über den Menschen, übertragen das auf unsere Partei und
drücken ihren Abscheu an der Wahlurne aus. Dann ade Mehrheit«, befürchtete
Lattuga.
»Oder Ansbichler wird zum Märtyrer gemacht und wir gehen total
baden«, bestätigte Dr. Waidling.
»Und wenn es ganz schief läuft, kommt
Robert, diesem Pülcher noch der Mitleidseffekt zu Gute und die Vorzugsstimmen
bringen ihn an die Spitze der Liste«, malte Glanburger das ›worst case‹
Szenarium an die Wand. »Und Ansbichler wird gar noch der nächste Bürgermeister .«
Bei dieser absurden, trotzdem aber nicht unrealistischen
Vorstellung beutelte es die vier Granden unisono im 3/4-Takt.
Dr. Waidling bewies seine Macher-Qualitäten mit einem druckreif
formulierten Vorschlag, der allen Interessen Rechnung zu tragen schien.
»Was, meine Herren, halten Sie davon, wenn wir bis zum Wahltag
fleißig weiter nach den terroristischen Köpfen hinter den Handlangern suchen,
die zum Teil ohnehin schon gefasst wurden .«
»Aber diese Leute sind unschuldig. Wir können doch nicht
unschuldige Bürger vier Wochen in Haft halten«, fand heute selbst Dr. Fuscheé.
»Das wissen doch nur wir und die Inhaftierten. Und dabei bleibt
es auch bis auf Weiteres«, fegte Waidling dieses Argument vom Tisch.
»Andererseits ist es tatsächlich ein bisschen hart, wenn sie wirklich nichts
ausgefressen haben. Was ist, wenn wir sie eine Geheimhaltungsklausel
unterzeichnen lassen, ihnen pro Tag sagen wir 100 Euro Gage zahlen und nach der
Enthaftung noch eine Prämie von zwei- bis dreitausend Euro .« Der große Zampano war wahrlich nie um eine überzeugende Lösung verlegen.
»Sie haben doch sicher einen Reptilienfond in Ihrem Ministerium,
Herr Kollege«, wandte er sich an Fuscheé. »Und die Prämie kommt von unseren
Freunden aus der Opposition .«
»Also, das sind ja ...«, Dipl. Ing. Glanburger rechnete nach,
»... so um die fünftausend Euro. Dafür setz ich mich ja selbst einen Monat in
den Häfen .« Alle Anwesenden fielen in sein
krampfhaftes Lachen ein.
»Aber net mehr Leut verhaften als unbedingt notwendig«, warf der
scharfe Rechner Lattuga ein, »wir können das Geld ja auch nicht drucken .«
Ein, zwei Wochen nach den Wahlen sollten dann die offiziellen
Untersuchungen gegen Ansbichler eingeleitet werden. Und die Gerechtigkeit würde
ihren Lauf nehmen. Mit Verspätung, aber immerhin. So war allen am besten
gedient. Auch dem Lande und dem Staat.
»Also sind wir uns einig ?« , Dr.
Waidling blickte die drei anderen scharf an. »Und kein Wort zu Dritten. Falls
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