Schnupperküsse: Roman (German Edition)
mag.
Innerhalb einer halben Minute liegt Adam auf einer Bahre im Krankenwagen. Ich stehe mit den Mädchen in den Armen, und mit Guy, der den Arm um mich gelegt hat, davor und schaue zu. Ich warte und hoffe, während Sophie dazu betet.
»Gut, Sie kommen mit uns«, sagt einer der Sanitäter zu mir.
Ich schaue Guy an.
»Geh nur!«, sagt er. »Ich kümmere mich um die Mädchen. Melde dich!«
»Danke«, sage ich durch einen Schleier von Tränen, doch wie kann ich Guy das je danken, was er für Adam getan hat? Dass er sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hat, um das von meinem Sohn zu retten. »Würdest du bitte David für mich anrufen? Ich zeige ihm die Nummer auf meinem Handy – eine der vielen Verbindungen, die ich löschen wollte, es wegen der Kinder aber nicht konnte.
Die Sanitäter im Rettungswagen, ein Mann und eine Frau, ziehen Adams aus und streifen ihm die nassen Sachen von seinen steifen Armen und Beinen ab, bevor sie ihn in Decken hüllen und eine Aluminiumfolie über ihn legen. Der eine von ihnen überprüft ständig seine Temperatur, während der andere ihm eine Kanüle anlegt und eine Sauerstoffmaske über das Gesicht zieht, die seine blauen Lippen verdeckt. Sie befestigen Elektroden auf seiner Brust und schließen ihn an ein EKG -Gerät an. Währenddessen sprechen sie die ganze Zeit entweder mit Adam, mit mir oder miteinander, was ich aber nur halb mitbekomme.
Adam zittert nicht mehr. Seine Körpertemperatur beträgt 33 Grad, vier Grad unter normal. Er ist bewusstlos, sein Puls schwach und unregelmäßig, keine guten Zeichen. Seine Atmung ist flach, er befindet sich in einem kritischen Zustand.
»Oh, Adam …«, murmle ich. »Halte durch, bitte …«
»Gut, Jennie«, sagt die Rettungsassistentin, »wir werden Ihren Jungen jetzt ins Krankenhaus bringen.« Auf der Fahrt dahin wird mir klar, dass ich zu viel auf einmal wollte. Ich habe ihn vernachlässigt. Auch wenn ich ihm zugehört habe, habe ich nicht dementsprechend gehandelt. Jetzt befindet sich mein Sohn zwischen Leben und Tod, und ich bin daran schuld. Als Mutter bin ich ein Versager. Ich war selbstsüchtig und habe meinen Traum gelebt. Ich wollte es mir nach der Scheidung beweisen, doch das Einzige, was ich bewiesen habe, ist, dass ich völlig untauglich bin.
Ich schaue auf die Gestalt meines Sohnes, die halb verdeckt unter einer silbernen Rettungsfolie liegt.
Halte durch, Adam. Ich unterdrücke ein Schluchzen. Bleib bei uns. Bitte, stirb nicht …!
21
Walnuss-, Dattel- und Honigkuchen
Ein paar Stunden später sitze ich immer noch an Adams Krankenbett. Er hat Glück gehabt. Er ist zwar außer Gefahr, doch verwirrt und schläft immer wieder ein.
»Mum«, sagt er und schlägt mit einer Hand um sich.
»Es ist alles gut«, beruhige ich ihn und greife danach, doch er zieht sie weg. »Ich bin hier, mein Schatz.«
Was hat er an dem Teich gemacht? Wie oft habe ich ihn gewarnt, nicht aufs Eis zu gehen? Ich frage mich, ob David etwas erreicht hätte – hätte ich ihm die Chance dazu gegeben. Glaubte Adam vielleicht, er könnte auf dem Teich Schlittschuh laufen wie auf der Eisbahn, die nur ein paar Busstationen von unserem alten Haus entfernt lag? Ist er aus Neugierde auf das Eis gegangen? Oder des Kicks wegen? Ich versuche, mir diese andere Möglichkeit nicht weiter vorzustellen, doch schießt sie mir immer wieder durch den Kopf. Habe ich ihm sein Leben wirklich so schwer gemacht, dass er keinen anderen Ausweg sah, als es zu beenden? Oder wollte er nicht, dass es alles so weit kommt? War es ein Hilfeschrei?
»Oh«, stöhnt er. »Ich habe solche Kopfschmerzen.« Er sieht erschöpft aus, seine Augen leuchten mir groß entgegen, wenngleich die Farbe seiner Haut im Vergleich zu dem blühend weißen Laken gesünder aussieht.
»Ich rufe die Krankenschwester, damit sie dir ein paar Schmerztabletten bringen kann.«
»Lass nur«, murmelt er. »Ich bin so müde … mir ist so kalt …«
»Schhh«, sage ich. »Nicht sprechen. Das strengt dich zu sehr an.« Dafür werden wir noch genügend Zeit haben, denke ich. Ich kann seine Alkoholfahne riechen. In meine Erleichterung, dass er wieder auf die Beine kommt, drängt sich Scham hinein.
»Ich wusste, dass so etwas passieren würde«, verkündet David, und seine Augen verdunkeln sich vor Sorge. Vor diesem Moment hatte ich mich die ganze Zeit gefürchtet. Er steht an Adams Krankenbett, nachdem er mich davon weggeschoben hat, und blickt auf unseren Sohn.
»Er schläft«, sage ich und warte gespannt auf
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