Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
ihre Margaretner.
Natürlich hatte er bereits von dem Mord an Vera Navratil gehört. Er vermutete, dass es sich um ein klassisches Beziehungsdrama handelte. „Ich glaube jedenfalls nicht, dass ein Wahnsinniger in Margareten sein Unwesen treibt.“
„Sie denken also, dass die drei Morde und der Mordversuch an meinem Freund Orlando nicht alle vom gleichen Täter begangen wurden?“
„Ja. Wien ist nicht New York. Wenn es solche Serienmorde in Wien gegeben hätte, würde ich davon gehört haben.“
„Alle Mordopfer waren schöne junge Frauen und alle waren ausländischer Herkunft. Selbst Orlando hat einen italienischen Vater. Das kann doch kein Zufall sein“, warf ich ein.
„Die Ausländerfeindlichkeit nimmt auch in Margareten ständig zu, da haben Sie Recht“, fuhr er fort. „Aber überlassen Sie die Aufklärung dieser Mordfälle lieber der Polizei. Ich bin überzeugt, dass sie auch in diese Richtung ermitteln wird.“
Obwohl ich nicht seiner Meinung war, ließ ich es dabei bewenden.
Der Frühlingsbeginn in Wien war auch an mir nicht spurlos vorübergegangen. Angesichts der neuen Frühjahrsmode bildete ich mir plötzlich ein, nicht mehr länger in meinen uralten zerrissenen Jeans und den ausgewaschenen T-Shirts herumlaufen zu können. Da ich etwas unsicher war, was meinen Geschmack betraf, ließ ich mich von Herrn Schramm beraten.
Er zeigte mir einen farbenfrohen langen Rock mit Rüschen. Ich schenkte diesem luftigen Ding einen skeptischen Blick.
„Dieser Gypsy-Look war in den 70ern total in und ist jetzt wieder im Kommen“, sagte er.
Das hätte er besser nicht gesagt. Ich weigerte mich, dieses knallfarbige Objekt anzuprobieren. Bat ihn, mir einen stinknormalen Jeansrock zu bringen.
Ein slowakischer Tourist unterbrach unser Gespräch. Er kam allerdings nur ins Geschäft, um nach dem Weg zum Südbahnhof zu fragen. „Sie sehen, ich bin inzwischen auch für Verkehrsauskünfte und Wegbeschreibungen zuständig“, sagte Helmut Schramm, nachdem der Mann wieder gegangen war. Während ich zwischen der Umkleidekabine und dem Spiegel hin und her lief, erzählte er mir, dass die Geschäftsleute in der Reinprechtsdorfer Straße zu kämpfen hätten. „Das Qualitätsniveau der alteingesessenen Geschäfte leidet unter den vielen Billigläden, die sich hier niedergelassen haben. Aber ich bin ein unverbesserlicher Optimist“, sagte er, „… hoffe, die ‚Mitte‘ wird bald wieder sexy …“
Bezog sich das „sexy“ auf die politische Mitte oder auf den superkurzen Stretchrock, den er mir gerade in die Umkleidekabine reichte? Ich probierte den irisfarbenen Minirock über die Hose und fand mich perfekt angezogen. Zuletzt erstand ich noch ein weißes, tief ausgeschnittenes T-Shirt.
Warum musste ich bloß heute andauernd an New York denken? Selbst die Reinprechtsdorfer Straße erinnerte mich, nach dem Gespräch mit Helmut Schramm, an die Straßen New Yorks, die oft eine Grenze zwischen dem einen und dem anderen Viertel bilden. Rechts, auf der Ostseite der Reinprechtsdorfer Straße sozusagen, gab es fast nur mehr türkische Geschäfte und Billigläden. Es wurde ja auch schön langsam Zeit, dass die Einwanderer aus Anatolien in Wien Fuß fassten. Die Chinesen holten allerdings immens auf. Bald wird aus dem ehemaligen Türkenviertel ein kleines Chinatown werden, dachte ich.
13
Zu Mittag war im Haasbeisl immer viel los. Alle Tische in diesem typischen Wiener Wirtshaus waren besetzt.
Der Juniorwirt, Georg Haas, verschaffte mir einen Platz am Stammtisch. Ich kam zufällig neben Herrn Karoly zu sitzen, den mir mein Großvater gerade als gute Informationsquelle ans Herz gelegt hatte – so ein Glück muss man erst mal haben!
Mein Großvater war im Haasbeisl Stammgast gewesen. Als Kind hatte ich oft mit ihm hier zu Mittag gegessen. Mir kam sogleich alles wieder sehr vertraut vor. Ich erinnerte mich daran, wie mein Opa an diesem Tisch nachmittags stundenlang Karten gespielt und ein Achterl Rot nach dem anderen gezwitschert hatte. Rein durchs Zuschauen hatte ich hier Schnapsen und Tarockieren gelernt. Ich war bis heute fast unschlagbar in beiden Spielen.
Die Herren Horvath, Pospischil und vor allem der alte Charmeur Marek begrüßten mich fast überschwänglich. Sie schienen sich über meine Gesellschaft wirklich zu freuen. Auch sie wussten längst über den Mord am Siebenbrunnenplatz Bescheid. Jeder von ihnen hatte seine eigene Theorie.
Wiener Volksseele in Reinkultur? Nein, die Einschätzungen und Kommentare der
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