Schön und ungezähmt
durchaus möglich, dass Robert nichts von dem Kuss erzählt hatte. Vielleicht hatte er bloß seiner Verärgerung
über Damiens umtriebige Kuppelversuche Luft gemacht und die Sache darüber hinaus auf sich beruhen lassen.
Was sollte sie jetzt bloß tun?
… Ihr seid nicht wie die anderen …
Nein, das war sie nicht. Sie hatte nichts mit den erfahrenen Schönheiten gemein, die der notorische Liebhaber Robert Northfield normalerweise verfolgte. Dennoch fühlte er sich zu ihr hingezogen. So sehr, dass er sie geküsst hatte, und das auf eine Weise, die die Fantasien jeder jungen Frau erfüllt hätte. Sie würde sich bis zu ihrem letzten Atemzug an die Berührung seines Mundes erinnern, der sich sanft und warm auf ihren legte. Es war kein feuriger oder leidenschaftlicher Kuss gewesen, kein Kuss, der sie davongetragen oder überwältigt hätte. Nein, stattdessen war er perfekt gewesen. Wenn sie keine völlig vernarrte Idiotin war – und sie war nicht sicher, ob diese Beschreibung nicht doch passte -, dann glaubte sie, dass es auch für ihn anders gewesen war. Eine gewisse Ehrfurcht hatte in der leisen Berührung seiner Hand gelegen, die sich an ihre Taille schmiegte, und sie hätte schwören können, die Gefühle, die sich in seiner Miene abzeichneten, waren echt.
Kurz gesagt glaubte sie, dass er unter Umständen ebenso verwirrt war wie sie. Und bei einem erfahrenen Lebemann war das vielsagend.
Rebecca straffte die Schultern. »Wäre es wohl möglich, die Duchess zu sehen?«
Der stattliche Butler der Northfields neigte sein weißhaariges Haupt. »Ich glaube, sie ist in der Eingangshalle und verabschiedet sich von einigen Gästen, Mylady.«
Dort war sie tatsächlich, stellte Rebecca wenige Minuten später fest. Das Ticken der Uhr hallte in ihrer Seele wider. Als
Lord Emerson sich verbeugte und den Raum verließ, wartete sie, bis ein Lakai die Tür hinter dem Gentleman schloss. Erst dann sagte sie mit derselben zwanglosen Eile, die sie benutzt hatten, als sie noch jünger waren: »Ich möchte dich um etwas bitten, Bri.«
Brianna bemerkte die Dringlichkeit in ihrem Tonfall. »Natürlich«, sagte sie einfach. »Was es auch ist.«
Das war wirklich gewagt, aber Rebecca war darüber hinaus, sich um solche Dinge zu sorgen. »Würde es dir etwas ausmachen, deinen Mann und Damien zu stören, die im Arbeitszimmer beisammensitzen? Ich habe nicht den Mut, einfach an die Tür zu klopfen und selbst zu fragen. Aber ich muss ihn wirklich dringend sprechen.«
Der Mund ihrer Freundin öffnete sich erstaunt. »Sicher werde ich das tun, wenn du es wünschst.Welchen von beiden möchtest du denn sprechen?«
Rebecca erstickte ein nervöses Lachen. »Es tut mir leid, ich rede vermutlich ziemlich viel Unsinn. Aber meine Eltern kommen gleich herunter, damit wir uns auf den Weg machen können. Aber ich muss Lord Damien für einen Moment sprechen, wenn es möglich ist.«
Ein leises Zögern lag in Briannas Augen, als überlegte sie, Rebecca nach dem Grund zu fragen. Doch sie erwies sich als wahre Freundin und nickte bloß. »Das kleine Wohnzimmer sollte zurzeit verwaist sein. Coltons Großmutter nutzt es nur, um ihre Korrespondenz zu beantworten.Wäre das passend?«
»Perfekt, ich danke dir.« Dankbarkeit beschrieb nicht annähernd, was Rebecca empfand, weil sie noch nie in ihrem Leben so außer Fassung gewesen war.
All die Gedanken, die sie während der vergangenen Nacht gehegt
hatte, hatten sie zu einigen sehr überraschenden Überzeugungen gebracht.
Der Verlockendste von allen war, dass sie nur aus Liebe zu heiraten gedachte.
Und der Schluss, den sie daraus zog? Wenn der gestrige Zwischenfall das einzige Mal in ihrem Leben war, dass Robert sie küsste, würde sie auf ewig verdammt sein.
Sie folgte dem Diener, den Brianna angewiesen hatte, sie ins Wohnzimmer zu führen, einen kleinen, hübschen Raum. Ein Schreibtisch stand unter einem Fenster, und der Anblick der verregneten Gärten, die sich vor den nassen Scheiben erstreckten, wurde durch blassgelbe Wände aufgehellt. Sie ging zum Fenster und starrte nach draußen. Sie fragte sich, was sie ihn fragen sollte.
Als Damien wenige Augenblicke später hereinkam, stand sie noch immer da und starrte hinaus auf die tropfenden Hecken und verblühten Rosenbüsche, die ihre Zweige hängen ließen. In seiner Stimme schwang etwas Kühles, aber eindeutig Amüsiertes mit. »Euch ist hoffentlich bewusst, dass Eure Mutter beginnen wird, Eure Hochzeit zu planen, wenn sie hört, dass Ihr mich vor
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