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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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im industriellen Maßstab mit gigantischer Rendite. So funktioniert eben simpelster Kapitalismus: Rohstoff billig einkaufen, kostengünstig Mehrwert schaffen, gewinnbringend vermarkten.«
    Irgendwie erinnerten Plotek die Worte an Agnes. Wenn er die Augen schloss, kam es ihm vor, als ob sie neben ihm am Frühstückstisch sitzen würde.
    »Waren Sie schon mal bei einer Plastinatenausstellung?«
    »Nö«, sagte Plotek und öffnete wieder die Augen.
    »Seien Sie froh. Die geschäftstüchtige Leichenkleberei des zwielichtigen Professors, der mit toten Menschen horrende Geschäfte macht, ist nicht nur geschmacklos, sie ist auch kriminell – aber noch zieht er den Kopf aus der Schlinge.«
    Die kennt sich aber aus, dachte Plotek, und obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie eine Blinde die Plastinate sehen konnte, wurde ihm diese Silke Klein immer sympathischer. Seine schlechte Laune hellte sich auf – aber nur für Sekunden. Dann wieder zappenduster. Der Grund: Silke Klein, oder vielmehr das, was ihr über die akkurat geschminkten Lippen kam.
    »Und die da drüben, gegenüber vom Leichenschänder, kennen Sie die auch?«
    Wieder hob Plotek ein klein wenig den Kopf und dachte, schon mal gesehen. Noch ehe er wusste, wo, sagte Silke: »Das ist diese berühmte Schauspielerin. Forsthaus Falkenau, St. Angela und der ganze Quatsch.«
    O nein, bloß nicht, dachte Plotek. Er wagte einen weiteren, kurzen Blick – tatsächlich: Es war seine ehemalige Kommilitonin, mit der er gemeinsam vor vielen Jahren auf der Schauspielschule in München war und eine leidvolle Vergangenheit teilte.
    »Schon zu Lebzeiten plastiniert«, sagte Silke Klein und Plotek dachte, stimmt, aber wie will die denn das wissen.
    »Titten, Lippen, Arsch, Gesicht, Haut – alles gefaked, alles Kunststoff. Da ist nichts mehr echt.«
    Plotek nickte.
    »Habe ich gelesen.«
    »Ich dachte, Sie sind . . .«
    »Blind? Ja schon, aber noch nicht so lange. Als ich noch sehen konnte, war die schon ein Ersatzteillager.«
    Plotek grinste und dachte, nichts wie raus hier. Mit Silke Klein am Arm schlich sich Plotek aus dem Frühstückssaal.
    »Wir sehen uns heute Abend, im Casino«, verabschiedete sie sich und verschwand in ihrem Zimmer.
    Plotek stand bei dem Mann mit dem hängenden Augenlid an der Eingangstür und dachte, jetzt frische Luft schnappen. Beine vertreten. Die Gedanken kommen und gehen lassen. Den Kopfschmerz aus sich herauslaufen. Der Türsteher öffnete artig die Tür, wünschte noch einen schönen Tag und blickte Plotek in einer Mischung aus geschäftstüchtiger Anteilnahme und professioneller Gleichgültigkeit hinterher.
    Der Himmel war klar. Fast kein Wölkchen. Dafür kalt. Überall lag Schnee, zum Teil gefroren. Plotek steckte sich eine Zigarette an, knöpfte die Jacke zu und ging los. Sicher ist von Alten mit der Reisegruppe in der Innenstadt unterwegs, Kurviertel, Kolonnaden, Maria-Magdalenen-Kirche, dachte Plotek und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Er ging den Goethepfad an der Tepl entlang. Das Wasser dampfte. Vor seinem Mund türmten sich Säulen von Atemluft. Er dachte an Silke Klein. Dann an Agnes. Gemeinsamkeiten fielen ihm auf. Er rutschte aus, stürzte beinahe. »Scheiß Schuhe«, fluchte er. »Scheiß Schnee!«
    Er kam am Goethedenkmal vorbei. Las: Was ich dort gelebt, genossen,/ Was mir all dorther entsprossen,/ Welche Freude, welche Kenntnis,! Wär’ ein allzu lang Geständnis!/ Mög‘ es jeden so erfreuen,/ Die Erfahrenen, die Neuen! Das soll 1807 Johann Wolfgang von Goethe in Bezug auf Karlsbad von sich gegeben haben. Ein paar Schritte weiter kam ein Jugendstildenkmal für Friedrich Schiller, dann ein Denkmal für den Komponisten Antonin Dvorak, danach eins für Smetana. Zuletzt stand Plotek vor einem riesigen Beethoven-Denkmal, summte leise ›Freude schöner Götterfunken vor sich hin und bemerkte währenddessen einen immer stärker werdenden Druck auf der Blase. Ob jetzt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Blasendruck und der Freude der schönen Götterfunken oder gar Beethoven bestand – keine Ahnung. Auf jeden Fall musste Plotek pinkeln. Ganz entfernt, am Hotel Richmond, war eine kleine Menschengruppe zu sehen. Ohne lange zu überlegen schlug er sich hinter das Denkmalmäuerchen
    und packte aus.
    Er erschrak, als er, noch bevor er seinen Urin im Schnee zischen hören konnte, ganz in der Nähe Stimmen vernahm. Irgendjemand musste hinter der Mauer an der Beethoven-Skulptur stehen. Plotek unterbrach den Pinkelvorgang und

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