Schoene Bescherung
mir auf den Magen geschlagen wie höchstens die Matschbirne aus dem Alzgerner Forst und jetzt fangen sie auch noch am ganzen Körper zu jucken an, als hätte ich sie von Ihnen adoptiert – aber vergiss es. Sein Mund schmeckte zwar nach Blut, war aber so trocken, dass jedes Wort, hätte es seinen Mund verlassen, zu Staub zerfallen wäre.
»Herr Plotek, geht es Ihnen nicht gut?«
Herr Wilhelm stand vom Bett auf und ging langsam, noch immer die Knie und Ellenbogen weiß mit Salbe eingeschmiert, auf Plotek zu.
»Herr Plotek, Sie sind ja ganz bleich im Gesicht.« Herr Wilhelm grinste. »Kennen Sie den?«
Nein bitte nicht, dachte Plotek, und bleiben Sie mir bloß vom Leib mit ihrer ekelhaften Hautkrankheit.
Herr Wilhelm ließ sich aber nicht aufhalten. Er kam immer näher und redete auf Plotek ein: »Sagt eine Frau zu ihrem Arzt: Ich verspüre am ganzen Körper einen Juckreiz. Sagt der Arzt zur Frau: Das liegt an ihrer Reizwäsche.«
Herr Wilhelm lachte. Plotek drehte sich um, öffnete die Tür, stürzte hinaus und rannte den Flur entlang.
Auf dem Weg zum Abendessen im Restaurant im Erdgeschoss des Hotels machte Plotek eine interessante Beobachtung. Er erkannte – durch die Rauchglasscheiben etwas verschwommen – am Tresen der Hotelbar Herwig E. Skolny und Kita Kubella. Plotek blieb kurz stehen, presste das Gesicht gegen das Glas und sah jetzt deutlicher, wie Kita Kubella mit großen Gesten erzählte und Skolny still vor sich hinrauchend zuhörte. Komisch, dachte Plotek, was ist denn mit dem passiert? Normalerweise ist er es doch, der unentwegt am Erzählen ist.
»Kann ich helfen?«
Hinter Plotek stand ein lächelnder junger Mann in mausgrauer Livree und blickte ihn erwartungsvoll an. Überall im Hotel waren sie verstreut: die Pagen, Diener, Kofferschlepper, die menschlichen Türöffner, das emsige Hotelpersonal. Immer lächelnd, in Habachtstellung und jederzeit bereit, helfend unter die Arme zu greifen.
Plotek erwiderte den erwartungsvollen Blick des jungen Mannes und ging dann einfach davon. Kam aber nicht weit. Am Eingang zum prächtigen Speisesaal standen sie schon wieder. Dieses Mal junge Männer in weißen Jacken und Frauen, fast noch Mädchen, in schwarzen Röcken und Blusen, mit Schürzen aus weißer Spitze. Alle lächelten wieder, als ob sie nicht den arbeitslosen Schauspieler Paul Plotek aus München-Neuhausen an den Tisch eskortieren würden, sondern vielleicht einen der im Flur in großformatigen Bilderrahmen aufgehängten Persönlichkeiten. Milos Forman, Lou Reed oder Carlos Saura zum Beispiel. Die hätten hier viel besser hergepasst, bei all dieser Pracht. Deckengemälde, verschnörkelter Stuck, Kronleuchter. Dazu dezente klassische Musik im Hintergrund. In Anbetracht all der Noblesse hatte Plotek gar keinen Hunger mehr. Anscheinend ging es anderen auch so. Am Tisch fehlten nämlich nicht nur Skolny und Kubella. Auch Silke Klein und Korbinian Stremmel waren nicht zu sehen. Ferdinand Schnabel auch nicht. Der sucht vielleicht immer noch nach seinem Luxusbus, dachte Plotek und musste wieder ein wenig schmunzeln. Die Abwesenheit der einen wurde von den anderen abschlägig kommentiert.
»Mal wieder typisch«, sagte Herr Wilhelm.
Plotek kratzte sich. Allein beim Klang seiner Stimme musste er sofort an die Schuppenflechte denken.
»Dass die sich für was Besseres hält, war ja von Anfang an klar!«, sagte Frau Weller, und allen war klar, dass sie Silke Klein meinte.
»Vielleicht hat sie in diesem wandelnden Putzlumpen eine Mitstreiterin gefunden«, sagte Frau Klinkermann. Die anderen nickten, als wären sie derselben Auffassung.
Plotek rätselte nur, wer der wandelnde Putzlumpen war. Viele Möglichkeiten gab es nicht. Bei näherer Überlegung war die Beschreibung gar nicht so ungenau: Kita Kubella.
Jetzt war noch nicht einmal ein Reisetag vorüber und schon gab es gruppenbezogene Auflösungserscheinungen. Es bröselt und bröckelt, dachte Plotek, und klare Fronten bilden sich. Da die einen, dort die anderen und dazwischen driftete alles auseinander. Zusammenhalten, alles Zusammenhalten, Plotek!, hätte Schnabel jetzt bestimmt an Plotek appelliert. Aber Plotek war das egal. Sind doch alles erwachsene Menschen – bis auf Marie-Louise – , dachte er, wenn sie sich auch meistens wie Kinder aufführen. Die sollen meinetwegen tun und lassen, was sie wollen. Die Enkelin von Frau Ribbenhold dachte wohl ähnlich und fehlte beim Abendessen ebenfalls.
»Der geht es nicht so gut«, sagte Frau von
Weitere Kostenlose Bücher