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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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wieder hinunter. »Warum?«
    »Er hat sich in den Kopf gesetzt, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen.«
    »Dann hatte Eduard von Alten gar nicht so Unrecht.«
    »Leider.« Skolny steckte sich erneut eine Zigarette an. Er nahm einen kräftigen Zug und hustete gleich wieder; Er spuckte ins Taschentuch und sagte leiser als zuvor: »Mein Alter ist ein Arschloch. Ob als Kita Kubella oder als Igor Skolny, ganz egal. Bei so einem Kaliber hilft auch die eindrucksvollste Maskerade nicht. Da kann er sich noch so viele Trachten überstülpen.«
    Anderer Ton jetzt, dachte Plotek. Irgendwie schien das jetzt ziemlich vertraulich zu werden. Was Plotek wiederum gar nicht recht war. Gibt’s oft. Von einem Augenblick auf den anderen ganz andere Gemütslage, ganz anderer Ton. Meist unter Zuhilfenahme von beträchtlichen Mengen Alkohol kippt die Stimmung. Die einen werden aggressiv, pöbeln herum und schlagen schließlich alles zusammen. Die anderen werden sentimental, schluchzen und weinen letztendlich Rotz und Wasser. Skolny schien zu den Letzteren zu gehören. Bloß nicht, dachte Plotek, bloß jetzt kein Rührstück mit voll gerotzten Tempotaschentüchern, wässrigen Augen und blödelnden Nutten im Nebenzimmer. Er rutschte unruhig auf dem Sessel herum.
    »Mein Alter hat nicht nur meine Mutter auf dem Gewissen«, sagte Skolny in bekenntnishaftem Tonfall. Plotek zuckte zusammen und dachte, der wird doch wohl hier und jetzt nicht Zeugnis ablegen wollen – vor mir. Skolny der reumütige Sünder, die Suite der Beichtstuhl und ich selbst der barmherzige Heilige Vater. Da wäre jetzt Ploteks Mutter richtig stolz auf ihn gewesen. »Amen!«, sagte Plotek so leise, dass Skolny es gar nicht hören konnte.
    Und wieder: »Mein Alter hat nicht nur meine Mutter auf dem Gewissen.« Wen noch, wollte Plotek erst gar nicht wissen. Skolny sagte es ihm aber trotzdem, wieder im Tonfall, dass es Plotek die Nackenhärchen strammstehen ließ. »Auch mich hat er drangsaliert, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe. Dass ich Pathologe geworden bin, war pure Auflehnung, reiner Widerstand gegen den Alten. Ich hätte Allgemeinmediziner werden sollen, wenn es nach ihm gegangen wäre. In seine Fußstapfen sollte ich treten. Oder Facharzt für Augenheilkunde. Aber Pathologe? ›Metzger‹, sagte mein Alter dazu. ›Fleischer – das sind keine Ärzte, das sind Schlachter.‹«
    Er guckte jetzt, als ob er gleich weinen wollte. Jetzt können bloß noch die Nutten helfen, dachte Plotek – aber vergiss es. Von denen war weder was zu hören, noch zu sehen. Egal. Sie waren dann aber doch nicht notwendig, weil Skolny plötzlich ganz von alleine wieder einen völlig anderen Ton anschlug. Der spielt auf der Tastatur seiner Gefühle wie höchstens Chopin im Frühstücksraum in den Boxen, dachte Plotek.
    »Lieber Schlachter als Schwein«, sagte Skolny jetzt gar nicht mehr rührselig – vielmehr aggressiv. »Mein Alter ist die Obersau und die ganze sudetendeutsche Sippschaft ein einziger stinkender Schweinestall.«
    Irgendwie konnte Plotek Skolny gut verstehen. Kindheit, Eltern und alles – da hat man oft ein Leben lang daran zu knabbern – und verschluckt sich doch ständig.
    »Für ihn brach eine Welt zusammen, damals als ich ihm sagte, dass das mit dem Allgemeinmediziner nichts wird. Er redete kein Wort mehr mit mir. Für ihn war ich erledigt – gestorben! Anders die Heimat. Die wollte er wieder zurückhaben. Er biss sich darin fest. In Petitionen, Pamphleten und organisatorischen Strukturen wurde das Anliegen formuliert und bei jährlichen Landsmannschaftstreffen zelebriert – einfach lächerlich!« Er lachte gehässig. »Sie wollen zurückhaben, was ihnen längst nicht mehr gehört. Was sie selbst verspielt haben. Woran sie selber schuld sind. Waren sie es nicht, die dem braunen Heilsbringer, der ihnen mehr Boden, mehr Raum versprach, zugejubelt haben? Mein Vater auf jeden Fall.«
    Plotek dachte erstens, warum erzählt er mir das alles. Und zweitens: Das klingt jetzt aber ganz anders als im Roten Berlin. Da der arme, allein gelassene, schizophrene Vater. Hier der unbelehrbare, revisionistische Nazi. Zwei Geschichten, zwei Persönlichkeitsprofile, zwei vermeintliche Wahrheiten. Aber welche stimmte? Mir doch egal, dachte Plotek und rutschte wieder unruhig auf seinem Sessel herum.
    »Subjektiv gesehen mag es für den einen oder anderen ein Unrecht gewesen sein. Kollektiv betrachtet war es nur folgerichtig. Raus mit den Kollaborateuren, mit den Sympathisanten

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