Schoene Bescherung
zweiten Exemplar der Badelatschen suchen, dachte Plotek, und schon ist der Täter überführt. Das Aschenputtel-Prinzip. So einfach ist das. Noch bevor er nach dem Telefonhörer greifen und Silke Klein anrufen konnte, klopfte es. Vor der Tür standen zwei Männer. Beide trugen schwarze Ledermäntel und sahen aus wie halbseidene Kriminelle aus einem tschechischen B-Movie.
»Sind Sie Paul Plotek?«
Auf so eine Frage sollte man stets mit »Nein« antworten, dachte Plotek, die Tür wieder schließen und nicht mehr öffnen. Er nickte. Fehler. Die halbseidenen Kriminellen entpuppten sich sofort als ernsthafte Kriminaler und zogen jetzt Plastikkärtchen mit Bild und Siegel aus der Tasche, die keinen Zweifel daran ließen, dass sie zu allem, was nun folgen würde, berechtigt waren.
Das B-Movie wurde in Sekundenschnelle zum Horrorfilm, mit beiden Beinen auf der Vorspultaste. Ohne nähere Erklärung ging alles ganz schnell: Handschellen, links und rechts ein Ledermantel, abführen, rein in den Skoda. Auf der Rückbank mit Blaulicht durch die Stadt, Polizeiwache, Tür auf, Tür zu, Gürtel, Schnürsenkel, Zelle auf, Zelle zu – Feierabend.
18
Eduard von Alten tot, Frau von Ribbenhold tot. Kita Kubella und Skolny hin – machte vier Tote in vier Tagen. (Ganz abgesehen von den vermissten Damen Kaspar und Weller und dem zerquetschten Zwerghasen.) Wenn das so weitergeht, bleibt nicht mehr viel übrig von Schnabels Reisegruppe. Da kann ich eigentlich ganz froh sein, hier gelandet zu sein. Plotekscher Zynismus jetzt. Aber irgendwie hatte er auch Recht. Einen sichereren Ort als den, an dem er jetzt vor sich hin fror, gab es in ganz Karlsbad nicht. Trotzdem war Plotek nicht gerade die Ruhe in Person. Wann die dicke Stahltür wieder aufgehen sollte, ja, ob sie sich jemals wieder öffnete, hing jetzt nicht mehr von ihm ab. Und das war kein gutes Gefühl. Je länger er darüber nachdachte, desto schlechter wurde es. So schlecht, dass er an gar nichts mehr denken konnte. Nur noch an Agnes. Die Einzige, die ihm jetzt helfen könnte. Aber vergiss es. Der tschechische Knast ist nicht der deutsche. Und schon wieder waren die zerstörerischen Gedanken da. Hier holt mich niemand mehr raus, dachte Plotek. Trotz EU-Erweiterung. Auch Agnes nicht, auch nicht mit ihrer Eloquenz und allem. Wie damals in München, wo sie mit Rechtsanwalt Dr. Weidner der Kriminalpolizei in Sachen Einvernahme eine Lehrstunde erteilt hatte. Bei dem Gedanken daran musste Plotek schmunzeln. Das erste Mal seit Stunden – seitdem er hier in dieser kalten, feuchten Zelle saß. Sein Kopf schmerzte, seine Augen brannten. Die rhegmatogene Netzhautablösung schritt voran. Alles sah jetzt ganz anders aus, als er sich das gedacht hatte: aussichtslos, mit oder ohne Netzhautablösung. Alles um ihn herum war dunkel und schwarz. Da sind Depressionen natürlich nicht weit. Und: Klopf, klopf, schon waren sie da. Plotek gab sich ihnen widerstandslos hin. Das war für Plotek im Prinzip nichts Neues. Depressionen gehörten zu seinem Leben wie bei anderen die Schwiegermutter. Die erträgt man auch, wenn sie zu Besuch ist, und macht drei Kreuze, wenn sie wieder im Zug sitzt. Im Fall von Plotek halfen dagegen in der Regel ein oder mehrere Unertl-Weißbier e. Aber von denen war hier im tschechischen Knast keine Spur. Becherovka auch nicht. Er legte sich auf die Pritsche, starrte zur Decke und grübelte. Und Vorsicht: Bei solch grüblerischen Gedanken ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Kindheit gedankenfüllend zurückmeldet. Schon war sie da! Soll heißen in Gestalt von Vater, Mutter, Bruder, Opa, Oma und ihm selbst als Kind. Das ist dann wie alle Schwiegermütter der Welt auf einmal beim Mittagessen. Da kannst du nur kotzen. Augenblicklich wurde es Plotek auch schlecht.
»Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!« Auch wenn es nicht schmeckt. Was willst du da machen als Kind? Außer Bett nässen bis zum zehnten Lebensjahr. Bis Psychologen im Zimmer standen und gute Ratschläge gaben. So lange, bis dem Vater schließlich der Kragen platzte, er die Psychologen im hohen Bogen hinauswarf und Plotek, ohne das Wissen der Mutter, in den dunklen Kartoffelkeller sperrte. Einen halben Tag und eine ganze Nacht saß er zwischen den Kartoffelbergen und dachte, er müsste sterben. Und hoffte, dass der Vater Einsicht hätte. Aber vergiss es. Der Vater hatte ihn nach dem halben Tag schlichtweg vergessen. Plotek betete zum lieben Gott. Aber auch der erhörte ihn nicht. Vermutlich würde er
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