Schöne Khadija
zuzusehen, und ich saß da wie eine Statue, während sie erklärte, was sie tat. Abdi übersetzte ihre Worte in holperiges Somali.
»Im Grunde genommen ist es dasselbe Make-up wie bei den anderen … ich muss vorsichtig sein, wegen des Schleiers. Und ich muss den Look übertreiben, damit er gut wirkt … besonders das Gold.« So viel Geld wurde für banale, alberne Dinge ausgegeben. Was dachten sich diese Leute eigentlich?
»… das Gold lege ich so dick wie möglich auf«, erklärte Zoë und neigte sich mit ihrem kleinen Pinsel über mich. »Wir brauchen nur noch ein wenig Gold hier … und da …«
Dieses Gold war das Einzige, was sie interessierte.
Sandy ließ den ganzen Tag nicht locker. Am Ende mussten wir aufhören, weil es zu dunkel wurde, um zu arbeiten, und alle total erschöpft waren. Es gab ein Reisgericht mit würzigem Eintopf, das wir gierig verschlangen, ohne viel Energie auf Konversation zu verschwenden. Dann suchten wir unsere diversen Schlafplätze auf.
Aber es fiel mir nicht leicht, einzuschlafen. Es war heiß und drückend und der Boden war hart. Khadija und ich lagen nebeneinander im Dunkeln neben Nhur und Amina, so dicht, dass wir uns nicht rühren konnten, ohne uns gegenseitig zu stören. Khadija lag ganz still, aber immer wenn ich aufwachte, merkte ich, dass auch sie wach war.
Irgendwann mitten in der Nacht gab ich es auf, so zu tun, als ob ich schliefe. Ich drehte mich so, dass mein Mund dicht an Khadijas Ohr lag und wisperte: »Möchtest du ein bisschen mit rauskommen?«
Sie nickte, setzte sich auf und griff nach ihrem Schleier.
»Wer wird dich denn jetzt schon sehen?«, fragte ich.
Sie ließ den Schleier liegen und wir schlüpften durch die Tür. Hinter dem Haus war es sehr ruhig und wir waren vor dem Rest des Dorfes verborgen.
Ich hatte einen sensationellen Sternenhimmel erwartet – das, wovon die Leute in den Reiseführern immer so schwärmen –, aber es war bedeckt und so dunkel, dass ich Khadijas Gesicht nicht einmal sehen konnte, als sie sich an die Wand lehnte.
»Machst du dir Sorgen wegen der Show?«, fragte ich.
»Was?« Sie klang so verwirrt, als sei ihr dieser Gedanke noch garnicht gekommen. »Warum sollte ich mir Gedanken darum machen, hin- und herzulaufen?«
»Was ist mit dem entführten Jungen?«, wollte ich wissen. »Der Cousin deines Vaters. Kennst du ihn?«
Es entstand eine lange Pause, bevor sie sagte: »Ja, ich kenne ihn. Ich kenne ihn sehr gut.«
Ihre Stimme bebte und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich gefragt hatte, bis ich daran dachte, wie damals die Stimme meines Freundes Ben in der Schule vor lauter Liebeskummer gezittert hatte, als er Alice sagte. Er hatte dringend über sie reden wollen.
»Sieh mal«, sagte ich vorsichtig, »du musst mir nichts erzählen. Aber wenn du es tust, dann verspreche ich dir, es nicht weiterzusagen.«
Eine Minute, vielleicht länger, gab Khadija gar keinen Laut von sich. Wir hörten nur die leisen Geräusche von Menschen, die sich im Schlaf herumwälzten. Ich dachte schon, ich hätte etwas Falsches gesagt. Warum sollte sie mir schließlich vertrauen?
Aber sie tat es. Ganz plötzlich begann sie zu reden. Ihre Stimme war so leise, dass ich näher rücken musste, um sie zu verstehen.
»Er ist nicht der Cousin meines Vaters. Er ist mein Bruder.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Der entführte Junge ist dein Bruder ?«
»Mein einziger Bruder. Der Sohn meines Vaters und meiner Mutter.« Ich konnte jetzt ihr Profil sehen, das sich dunkel gegen den Himmel abhob. »Meine Eltern haben kein Geld, ihn zurückzukaufen – nicht, seit sie mich nach England geschickt haben. Mahmoud hat keine andere Hoffnung als mich.«
Ich verstand diese ganze Geschichte einfach nicht und in meinem Kopf schwirrten tausend Fragen. Aber wenn einem jemand eine so große Sache erzählt, dann fragt man nicht nach. Man kann nur abwarten. Und zuhören.
Es dauerte lange, bis sie weitersprach. Als sie es tat, war ihre Stimme so rau wie Sandpapier, so, als müsse sie die Worte aus sich herauskratzen.
»Irgendwie haben diese Männer herausgefunden, dass ich für Sandy arbeiten sollte. Deshalb haben sie Mahmoud entführt. Suliman sagt, ich dürfe ihr nichts davon erzählen, weil sie sonst böse wird – aber so hartherzig kann sie doch nicht sein, oder? Wenn sie wüsste, dass er mein Bruder ist, würde sie es dann nicht verstehen und mir helfen?«
Ich wusste, wie es war, wenn man all seine Hoffnungen auf Sandy setzte und auf das, was
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