Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
Vom Netzwerk:
»Sind das nicht …?
    Alle hielten inne und drehten sich um und irgendjemand schrie auf. Der Jeep, mit dem die Kidnapper am Tag zuvor gekommen waren, tauchte gerade am Horizont auf und holperte auf der Straße auf uns zu.
    Plötzlich wurde es totenstill, bis auf das leise metallische Klimpern, mit dem die Gewehre hervorgeholt und bereitgemacht wurden. Die Wachleute hatten ihre Gewehre immer bei sich, aber plötzlich schienen alle somalischen Männer eine Waffe in der Hand zu haben. Sogar Tony, der schleimige Fotograf, hatte offenbar einen Revolver in seiner Tasche. Suliman griff in seine Jacke und nahm etwas aus einem Schulterhalfter und ich hörte, wie Amina erschrocken nach Luft schnappte, als sie es sah.
    Aber der Jeep kam nicht in Schussweite. Noch weit vor dem Dorf hielt er an und jemand stieg aus und kam auf uns zu. Jemand, der klein war, gebeugt und sehr, sehr langsam ging.
    Als sich die Gestalt näher schleppte, erkannten wir eine alte Frau, die sich schwer auf einen Stock stützte. Eine uralte Frau.
    »Soll das ein Trick sein?«, flüsterte Zoë.
    Niemand antwortete ihr. Die Somalifrauen sahen aufmerksam hinüber und ich hörte den schnellen, schweren Atem der Models. Wir alle starrten der alten Frau entgegen, die Schritt für Schritt langsam näher kam.
    »Wir können hier nicht einfach so herumstehen«, stellte Sandy ungeduldig fest. »Wir müssen wissen, um was es geht.«
    Sie sah sich nach Suliman um, doch der redete auf der anderen Seite des Catwalks leise mit David. Einen Augenblick lang zögerte Sandy, dann schüttelte sie leicht den Kopf und sah mich an.
    »Komm!«, befahl sie kurz und ging los, ohne auf meine Antwort zu warten, in der Annahme, dass ich ihr folgen würde.
    Und was sollte ich auch tun? Irgendjemand musste ja übersetzen, was die alte Frau ihr zu sagen hatte.
    Als wir das Dorf verließen, breitete Sandy die Arme aus und hielt sie vom Körper weg, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet war. Ohne groß nachzudenken, machte ich es ihr nach. Das hört sich vielleicht nach Schauspielerei an, aber glaubt mir, es war ein tödlich realistisches Gefühl. Die Männer, die immer noch im Jeep saßen, richteten ihre Gewehre auf uns, und als wir die alte Frau erreicht hatten, befanden wir uns durchaus in Schussweite.
    Als die Frau uns kommen sah, blieb sie stehen und stützte sich auf ihren Stock. Je näher wir kamen, desto besser erkannte ich die Falten in ihrem Gesicht und die scharf blitzenden Augen. Sie beobachtete uns, bis wir kaum einen Meter vor ihr stehen blieben.
    Dann sagte sie: »Assalaamu alaykum.«
    »Assalaamu alaykum«, erwiderte ich und Sandy tat es mir nach, wobei sie eine Hand auf die Brust legte und sich höflich verbeugte.
    Die Frau holte aus den Falten ihres Schals einen Umschlag hervor.
    »Sandy Dexter?«, fragte sie. Ihr Akzent war merkwürdig, aber die Worte waren deutlich.
    Sandy neigte den Kopf und streckte die Hand nach dem Umschlag aus. Sobald sie ihn hatte, drehte sich die alte Frau um und ging zurück zum Jeep.
    »Lassen Sie uns von hier verschwinden«, sagte ich. Ich drehte mich um und ging, doch Sandy folgte mir nicht. Als ich zurücksah, sah ich sie ganz still stehen und das Bild betrachten, das sie aus dem Umschlag geholt hatte.
    Ich ging zurück, um sie zu holen. »Kommen Sie«, sagte ich. »Es ist hier nicht sicher. Das kann warten, bis wir ins Dorf zurückgekehrt sind.«
    Sie rührte sich nicht. Aber sie hielt mir das Foto hin, sodass ich es sehen konnte. Es zeigte denselben Jungen wie zuvor  – Khadijas Bruder Mahmoud –, aber diesmal blutete sein Mund an drei verschiedenen Stellen. Er sah geschockt und verängstigt aus.
    Das Foto war an ein Blatt Papier geheftet, auf dem drei Worte standen. ZEHN TAUSEND DOLLAR. MORGEN .
    »Was soll ich nur tun?«, fragte Sandy leise.
    Sie sprach nicht wirklich mit mir, aber ich antwortete trotzdem. »Könnte das nicht eine Fälschung sein?«
    »Nur das mit den Zähnen«, antwortete Sandy. »Nicht der Blick in seinen Augen.« Sie starrte weiter das Bild an, als ob ich gar nicht da wäre. Dann sagte sie leise: »Weißt du, was das Schlimmste ist? Ich könnte das Geld morgen bezahlen. Es würde mir nicht einmal sehr wehtun. Aber wenn ich das tue, was geschieht dann mit dem nächsten Jungen, den sie kidnappen? Und dem nächsten? Irgendjemand muss sich dagegen wehren.«
    Sie lachte leise und unglücklich auf und ging dann zum Dorf zurück. Ich blieb einen Augenblick stehen und sah ihr nach – bis der Jeep plötzlich hupte und ich

Weitere Kostenlose Bücher