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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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überdies«, schmeichelte Stinni, »ist doch nichts
    Unangenehmes oder Peinliches dabei, außer Henry noch einen oder zwei andere zu haben. Du solltest wirklich weniger
    wählerisch -«
    »Beständigkeit«,
    darauf beharrte der Aufsichtsrat,
    »Beständigkeit, die erste und letzte Notwendigkeit!«
    Mit einer großen Geste umschrieb er die Gartenanlagen, den gewaltigen Bau der Brut- und Normzentrale, die nackten
    Kinder, die sich im Gebüsch vergnügten und auf den Wiesen tummelten.
    Lenina schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich bin seit
    kurzem, ich möchte sagen, nicht besonders erpicht auf größere Auswahl. Man hat manchmal solche Anwandlungen. Geht es dir nicht auch so, Stinni?«
    Stinni nickte mitleidig und verständnisvoll. »Da muß man sich eben ermannen«, sagte sie jedoch salbungsvoll.
    »Man darf keine Spielverderberin sein. Jeder ist seines
    Nächsten Eigentum.«
    »Ja, seines Nächsten Eigentum«, wiederholte Lenina gedehnt, seufzte und schwieg einen Augenblick. Dann drückte sie Stinni die Hand. »Du hast recht, wie immer.
    Ich werde mich ermannen.«
    Unterdrückte Triebe fließen über, werden zu Gefühlen, zu Leidenschaften, sogar zu Wahnsinn, je nach der Gewalt des Stroms, der Höhe und Stärke der Dämme. Der ungehemmte
    Strom ergießt sich sanft in sein vorgezeichnetes Bett, mündet in stilles Behagen. (Der Embryo hat Hunger; tagaus, tagein, ohne Unterlaß, macht die Blutsurrogatpumpe ihre achthundert
    Umdrehungen in der Minute. Das entkorkte Kind schreit;
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    sogleich erscheint die Pflegerin mit einem Fläschchen
    Außensekret.) Gefühl lauert in der winzigen Zeitspanne
    zwischen Begehr und Gewähr. Kürzt diese Spanne, und ihr reißt alle jene unnötigen Schranken von einst nieder!
    »Glückliche Jugend!« sagte der WAR. »Keine Mühe wurde
    gescheut, um euch euer Gefühlsleben leichtzumachen, euch, soweit es geht, vor Gefühlen überhaupt zu bewahren.«
    »Gelobt sei Ford am Lenkrad«, murmelte der BUND. »Er hat die Welt so wohl bestellt.«
    »Lenina Braun?« wiederholte Henry Päppler auf die Frage
    des Ersten Prädestinationsassistenten, während er seine Hose hochzippte. »Ah, ein Prachtmädchen. Fabelhaft pneumatisch.
    Wundert mich, daß Sie sie noch nicht gehabt haben.«
    »Mir selbst unverständlich«, sagte der Prädestinator.
    »Aber bei der nächsten Gelegenheit bestimmt.«
    Am anderen Ende des Umkleideraums hörte Sigmund Marx
    ihr Gespräch mit und wurde blaß vor Wut.
    »Die Wahrheit zu sagen«, bemerkte Lenina, »langweilt es mich schon ein ganz klein wenig, jeden Tag nur Henry zu haben.« Sie zog ihren linken Strumpf an. »Kennst du Sigmund Marx?« fragte sie in übertrieben gleichgültigem Ton.
    Stinni fuhr entsetzt auf. »Du hast doch nicht etwa die Absicht
    -?«
    »Warum denn nicht? Sigmund Marx ist ein Alpha-plus.
    Und außerdem hat er mich eingeladen, mit ihm eine von den Wildenreservationen zu besuchen. Ich habe mir schon immer gewünscht, eine Reservation zu sehen.«
    »Aber sein schlechter Ruf?«
    »Was liegt mir an seinem Ruf?«
    »Es heißt, er kann Hindernisgolf nicht leiden.«
    »Es heißt, es heißt«, spottete Lenina.
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    »Und er verbringt seine freie Zeit fast immer ohne
    Gesellschaft - allein!« ergänzte Stinni, Grauen in der Stimme.
    »Er wird nicht allein sein, wenn er mit mir zusammen ist.
    Warum sind alle Leute so eklig zu ihm? Ich finde ihn wirklich ganz nett.« Sie lächelte in sich hinein. Wie albern schüchtern er ihr gegenüber gewesen war! Fast furchtsam, als wäre sie Weltaufsichtsrätin und er ein gamma- minus Maschinenkuli.
    »Denken Sie an Ihr eigenes Leben«, sagte der WAR. »Stand einer von Ihnen jemals vor einem unüberwindlichen
    Hindernis?«Allgemeines Schweigen verneinte die Frage.
    »Hat einer von Ihnen jemals erlebt, daß zwischen dem
    Bewußtwerden eines seiner Wünsche und der Erfüllung ein
    längerer Zeitraum lag?«
    »Na ja -«, begann ein junger Mann zögernd.
    »Reden Sie!« befahl der Direktor. »Machen Sie Seine
    Fordschaft nicht ungeduldig!«
    »Einmal mußte ich fast vier Wochen warten, bis ich ein
    Mädchen, das ich haben wollte, bekam.«
    »Und infolgedessen hatten Sie leidenschaftliche Gefühle?«
    »Gräßliche!«
    »Gräßlich, das ist das richtige Wort«, sagte der Aufsichtsrat.
    »Und doch waren unsere Vorfahren so töricht und verblendet, sich gegen die ersten Reformer, die sie von diesen gräßlichen Gefühlen erlösen wollten, ablehnend zu verhalten.«
    »Über sie zu reden, als wäre sie ein Stück Fleisch!«

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