Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
Vom Netzwerk:
Vibrovakuum-Apparat frei war.
    Das traute Heim war ein Drecknest, und Körper wie Seele waren gleichermaßen davon betroffen. Ein seelischer
    Kaninchenstall, ein Misthaufen, dampfend von der Reibung zusammengepferchten Lebens, stinkend von Gefühlen.
    -50-

    Diese erstickende Nähe, diese gefährlichen, ungesunden, obszönen Beziehungen zwischen den einzelnen
    Familienmitgliedern. Die Mutter, diese Wahnwitzige, säugte ihre Kinder, ihre eigenen Kinder, wie eine Katze ihre Jungen, aber wie eine Katze, die sprechen kann, die ohne Unterlaß
    »Mein Kleines, mein Süßes« sagen kann. »Mein Baby da an der Brust, mit seinen Patschhändchen, und welchen Hunger es hat, und dieses unsägliche, peinigende Lustgefühl!
    Und wenn es dann einschläft, mein Babylein, hat es ein Bläschen weißer Milch im Mundwinkelchen. Mein Kleines
    schläft -«
    »Ja«, nickte Mustafa Mannesmann, »kein Wunder, daß Ihnen graut.«
    »Mit wem gehst du heute abend aus?« fragte Lenina, als sie von der Massage zurückkam, rosig glühend gleich einer von innen beleuchteten Perle.
    »Mit niemandem.«
    Erstaunt zog Lenina die Brauen hoch.
    »Seit einiger Zeit fühle ich mich so eigen«, erklärte Stinni.
    »Doktor Wells hat mir einen Schwangerschaftsersatz
    angeraten.«
    »Aber, meine Liebe, du bist doch erst neunzehn. Der erste Schwangerschaftsersatz ist nicht vor einundzwanzig fällig.«
    »Ich weiß, Schatz. Aber manche Leute fühlen sich wohler, wenn sie früher damit anfangen. Weitgebaute Brünette wie ich, sagte Doktor Wells, sollten ihren ersten Ersatz schon mit siebzehn nehmen. Ich bin also zwei Jahre zu spät dran, nicht zwei Jahre zu früh.« Sie öffnete ihren Wandschrank und wies auf eine Reihe Schächtelchen und etikettierter Fläschchen im oberen Fach.
    »Corpus- luteum-Extrakt.« Lenina las laut die Aufschriften.
    »Ovarin, garantiert frisch, Verfalldatum: Erster August
    -51-

    sechshundertzweiunddreißig nach Ford. Brustdrüsenextrakt, dreimal täglich mit einem Löffel Wasser vor den Mahlzeiten.
    Plazentin, jeden dritten Tag fünf Kubikzentimeter intravenös.
    Hu!« Sie schauderte. »Ich hasse Spritzen. Du nicht auch?«
    »Ja. Aber wenn sie einem guttun...« Stinni war ein besonders vernünftiges Mädchen. Ford der Herr - oder Freud der Herr, wie er sich in seinem unerforschlichen Ratschluß nannte, wenn er von psychologischen Dingen sprach -, Freud der Herr hatte als erster die entsetzlichen Gefahren des Familienlebens enthüllt.
    Die Welt war voller Väter - also voll von Elend; voller Mütter
    - also voll von jeder Art von Perversion, vom Sadismus bis zur Keuschheit; voller Brüder, Schwestern, Onkel und Tanten - voll von Wahnsinn und Selbstmord.
    »Doch unter den Wilden Samoas, auf einigen Inseln vor der neuguineischen Küste -«
    Die tropische Sonne liegt wie warmer Honig auf den nackten Kinderkörpern, die sich in tollem Durcheinander unter den Hibiskusblüten wälzen. Jede der zwanzig mit Palmblättern gedeckten Hütten ist ein Heim. Auf den Trobriandinseln gilt Empfängnis als das Werk von Geistern der Vorzeit; niemand hat je etwas von einem Vater gehört.
    »Die Gegensätze berühren einander«, sagte der Aufsichtsrat.
    »Mit gutem Grund, denn dazu sind sie da.«
    »Doktor Wells sagt, ein Dreimonatsschwangerschaftsersatz wird entscheidenden Einfluß auf meine Gesundheit in den
    nächsten drei, vier Jahren haben.«
    »Hoffentlich hat er recht«, meinte Lenina. »Aber, Stinni, soll das allen Ernstes heißen, daß du in den nächsten drei Monaten überhaupt nicht -«
    »Aber nein, meine Liebe, natürlich nicht. Ein, zwei Wochen etwa, nicht länger. Ich werde die Abende eben im Klub
    verbringen und Musikbridge spielen. Du gehst aus, oder?«
    -52-

    Lenina nickte.
    »Mit wem?«
    »Mit Henry Päppler.«
    »Schon wieder?« Auf Stinnis gutmütigem Mondgesicht
    erschien ein ihr im allgemeinen fremder Ausdruck schmerzlich mißbilligenden Staunens. »Willst du damit sagen, daß du noch immer mit Henry Päppler gehst?«Mütter und Väter, Brüder und Schwestern. Doch es gab auch Ehemänner, Gattinnen und
    Liebespaare - und Einehe und Romantik.
    »Aber Sie wissen wahrscheinlich nicht, was das heißt«, sagte der Weltaufsichtsrat.
    Die Studenten schüttelten die Köpfe.
    »Familie, Einehe, Romantik. Überall Abgrenzungen gegen die Allgemeinheit, überall jegliches Interesse auf einen Punkt gerichtet, ein kleinmütiges Eindämmen aller Triebe und Kräfte.
    Aber jedermann ist seines Nächsten Eigentum.« Mit diesem Spruch aus der

Weitere Kostenlose Bücher