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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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dachte er rachsüchtig.
    Aber auch ihm.
    Er zählte seine Barschaft. Der kleine Rest würde ihm
    hoffentlich über den Winter hinweghelfen. Im nächsten Frühling wuchs in seinem Garten wohl schon genug, um ihn von der Außenwelt unabhängig zu machen. Inzwischen gab es für alle Fälle Wild; er hatte Kaninchen in Menge und an den Teichen Wasservögel gesehen. Sogleich ging er daran, sich Bogen und Pfeile zu schnitzen.
    In der Nähe des Leuchtturms wuchsen Eschen und, für die Pfeilschäfte, ein ganzes Gehölz schöner, gerader Haselstauden.
    Er fällte eine junge Esche, sägte etwa zwei Meter von dem glatten Stamm ab, schälte ihn und schabte, wie der alte Mitsima es ihn gelehrt hatte, Schicht auf Schicht das weiße Holz, bis er einen Stab von seiner eigenen Höhe in den Händen hielt, steif in der dickeren Mitte, biegsam und beweglich an den schlanken Enden. Die Arbeit machte ihm große Freude. Nach den müßigen Wochen in Berlin, wo er nur auf einen Knopf zu drücken oder einen Hebel zu drehen brauchte, wenn er etwas wollte, war es ein Genuß, etwas zu tun, was Geduld und Geschick erforderte.
    Er war fast fertig damit, den Stab zurechtzuschnitzen, als er plötzlich überrascht bemerkte, daß er sang - wahrhaftig sang! Es war, als wäre er von außen unvermutet auf sich selbst gestoßen und hätte sich bei einem offenen Unrecht ertappt. Schuldbewußt errötete er. Schließlich war er nicht hierhergekommen, um zu singen und sich des Lebens zu freuen, er war hierhergekommen, um weiterer Besudelung mit dem Unflat des zivilisierten Lebens
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    zu entgehen, sich zu läutern, zu bessern und tätige Reue zu zeigen.
    Bestürzt erkannte er, daß er, in seine Schnitzerei vertieft, vergessen hatte, was nie zu vergessen er sich vor kurzem gelobt: die arme Filine und seine mörderische Lieblosigkeit gegen sie, die widerlichen Dutzendlinge, die wie Maden über das
    Mysterium ihres Todes gekrochen waren und mit ihrer
    Gegenwart nicht nur seine eigene Trauer und Reue, sondern die Götter selbst beleidigt hatten. Er hatte sich geschworen, es nie zu vergessen, nie aufzuhören, Buße zu tun. Und hier saß er nun kreuzfidel über seinem Bogenholz und sang, wahrhaftig, sang...
    Er ging ins Haus, öffnete die Senfbüchse und stellte Wasser zum Kochen auf.
    Eine halbe Stunde später erblickten drei erstaunte delta- minus Landarbeiter aus einer der Schneverdinger
    Bokanowskygruppen, die mit einem LKW nach Ebstorf
    unterwegs waren, auf der Höhe des Hügels vor dem verlassenen Leuchtturm einen jungen Mann, der, bis zum Gürtel nackt, sich mit einer Geißel aus geknoteten Stricken schlug. Sein Rücken war mit roten Querstreifen liniert, und von Strieme zu Strieme sickerte in dünnen Rinnsalen Blut. Der Fahrer hielt am
    Straßenrand und starrte ebenso wie seine beiden Gefährten mit offenem Mund auf das ungewöhnliche Schauspiel. Eins, zwei, drei - sie zählten die Hiebe. Nach dem achten unterbrach der junge Mann seine Selbstzüchtigung und lief an den Waldrand, wo ihm sterbensübel wurde.
    Dann nahm er wieder die Geißel zur Hand und drosch weiter auf sich ein. Neun, zehn, elf, zwölf...
    »Du lieber Ford!« flüsterte der Fahrer. Seine
    Dutzendlingsgefährten waren derselben Ansicht.
    »Ach, Förde doch!« stießen sie hervor.
    Drei Tage später waren, gleich Aasge iern bei einem
    Leichnam, die Reporter da.
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    Über einem schwelenden Feuer aus grünem Holz getrocknet
    und gehärtet, war der Bogen fertig geworden. Der Wilde
    arbeitete jetzt an den Pfeilen. Dreißig Haselstöcke waren geschnitzt und getrocknet, an der Spitze mit einem scharfen Nagel, am anderen Ende sorgfältig mit Kerben versehen. Eines Nachts hatte er sich in die Geflügelfarm in Amelinghausen geschlichen und besaß nun Federn genug, um eine ganze
    Waffenkammer auszustatten. Als er eben beim Pfeile fiedern war, entdeckte ihn der erste Reporter.
    Lautlos tauchte er auf pneumatischen Sohlen hinter ihm
    auf.»Guten Morgen, Herr Wilder«, sagte er. »Ich vertrete den
    ›Stündlichen Funk-Anzeiger‹.«
    Wie von einer Schlange gebissen, sprang der Wilde auf und verstreute Pfeile, Federn, Leimtopf und Pinsel nach allen Richtungen.
    »Bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte der Reporter
    aufrichtig zerknirscht, »es war nicht meine Absicht...« Er tippte an seinen Hut, ein Aluminiumofenrohr, worin er seine
    Funkanlage trug. »Verzeihen Sie, daß ich ihn nicht lüpfe. Er ist ein bißchen schwer. Also, wie gesagt, ich vertrete den
    ›Stündlichen‹ -«
    »Was wollen

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