Schöne neue Welt
von ihm, ein behauener, geometrischer Auswuchs des nackten Gesteins: der Pueblo Malpais. Block auf Block, jedes Stockwerk kleiner als das darunter befindliche, erhoben sich hohe Bauten gleich abgestuften, gekappten Pyramiden in den blauen Himmel. Ihnen zu Füßen lag ein Gewirr niedriger Häuser, ein Netz von Mauern; an drei Seiten fielen die Felswände jäh zu der Ebene ab. Ein paar Rauchsäulen stiegen senkrecht in die unbewegte Luft und vergingen.
»Merkwürdig«, sagte Lenina. »Sehr merkwürdig.« Es war ihr üblicher Ausdruck der Ablehnung. »Gefällt mir nicht. Und auch der Mann gefällt mir nicht.« Sie wies auf den Indianer, der bestimmt worden war, sie in den Pueblo zu begleiten.
Dieses Gefühl beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit, denn sogar der Rücken des voranschreitenden Mannes drückte Feindseligkeit und finstere Verachtung aus.
»Außerdem«, sie dämpfte die Stimme, »stinkt er.«
Sigmund versuchte nicht, es zu leugnen. Sie gingen weiter. Plötzlich schien die Luft lebendig geworden zu sein und zu pulsieren, zu pulsieren mit der unermüdlichen Bewegung des Bluts. Droben in Malpais wurden die Trommeln gerührt. Die Schritte der beiden paßten sich dem Rhythmus dieses geheimnisvollen Herzschlags an; sie gingen rascher. Der Weg führte an den Fuß des Steilhangs. Über ihnen türmten sich die Wände hundert Meter hoch bis zum Deck des großen Mesa-Schiffs.
»Schade, daß wir das Flugzeug nicht hier haben!«
meinte Lenina und starrte verdrossen den glatten, regungslosen Steinleib an. »Ich hasse Gehen. Und man kommt sich am Fuß eines Berges so klein vor.«
Der Weg zog sich ein Stück im Schatten der Mesa hin, bog um einen Felsvorsprung, und hier, in einer vo m Regen ausgewaschenen Schlucht, führte das steinerne Fallreep hinauf. Sie erkletterten es. Der Pfad war ausnehmend steil und lief im Zickzack von einer Wand der Schlucht zur anderen. Manchmal waren die Trommeln kaum noch zu vernehmen, manchmal schienen sie hinter der nächsten Biegung zu dröhnen.
Auf halbem Weg flog ein Adler so dicht an ihnen vorbei, daß sein Schwingenschlag ihnen kühl ins Gesicht wehte.
In einem Felsspalt lag ein Haufen Knochen. Das alles war niederdrückend merkwürdig, und der Indianer stank immer stärker. Endlich gelangten sie aus der Schlucht ins volle Sonnenlicht. Die Hochfläche der Mesa glich einem Verdeck aus Stein.
»Sieht aus wie der Flugturm von Tempelhof«, fand Lenina. Aber nicht lange sollte sie sich über diese Entdeckung einer beruhigenden Ähnlichkeit freuen. Ein weiches Tappen von Schritten ließ sie sich umwenden. Zwei Indianer, nackt vom Hals bis zum Nabel, die dunkelbraunen Leiber mit weißen Linien bemalt - »wie asphaltierte Tennisplätze«, beschrieb Lenina sie später -, die Gesichter unmenschlich entstellt durch dick aufgetragenes Scharlachrot, Schwarz und Ocker, kamen den Pfad herangelaufen.
In ihr schwarzes Haar waren Fuchspelz und rote Stoffetzen eingeflochten. Behänge aus Truthahnfedern flatterten um ihre Schultern, hohe Federkronen explodierten in grellen Farben um ihre Köpfe. Bei jedem Schritt klirrten und rasselten ihre silbernen Armbänder und ihre schweren Halsketten aus Knochen und Türkisen. Ohne ein Wort liefen sie lautlos in ihren Fellmokassins dahin. Einer hielt ein Büschel Federn, der andere trug in jeder Hand etwas, das von fern drei, vier dicken Seilenden glich. Eines der Seile wand sich unruhig hin und her, und plötzlich erkannte Lenina, daß es Schlangen waren.
Immer näher kamen die beiden Männer. Ihre dunklen Auge n waren auf Lenina gerichtet, aber nicht das geringste Anzeichen deutete darauf, daß sie sie überhaupt wahrnahmen. Die Schlange, die sich eben noch gewunden hatte, hing nun schlaff mit den anderen herab. Sie eilten vorüber.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Lenina. »Aber schon gar nicht!«
Noch weit weniger gefiel ihr, was sie am Eingang des Pueblo sah, während sie auf den Führer warteten, der hineingegangen war, um weitere Weisungen einzuholen. Vor allem der Schmutz, und dann die Abfallhaufen, der Staub, die Köter, die Fliegen. Ihr Gesicht verzog sich vor Ekel, sie hielt das Taschentuch vor die Nase.
»Wie kann man nur so leben?« rief sie in ungläubiger Entrüstung aus. Es war einfach undenkbar!
Sigmund zuckte philosophisch die Achseln. »Jedenfalls leben sie seit fünf- oder sechstausend Jahren so und werden sich wohl inzwischen daran gewöhnt haben.«
»Wo die Reinlichkeit am größten, ist Fords Hilfe am nächsten«, beharrte
Weitere Kostenlose Bücher