Schöne neue Welt
mich rasch umwende, ertappe ich ihn, wie er mich anstarrt, und dann - nun, du weißt ja, wie eine n die Männer anstarren, wenn man ihnen gefällt.«
Stinni wußte es.
»Ich werde nicht klug daraus«, sagte Lenina.
Sie wurde nicht klug daraus und war darüber nicht nur erstaunt, sondern nahezu aus der Fassung.
»Denn weißt du, Stinni, er gefällt mir nämlich.«
Und zwar von Tag zu Tag mehr. Aber heute war eine günstige Gelegenheit, dachte sie, als sie sich nach dem Bad - tupf, tupf, tupf - parfümierte; eine äußerst günstige Gelegenheit. Ihre gute Laune ließ sie singen: »Drück mich, entrück mich, mein Schatz, Bis ich in einem Koma; Außer der Liebe da hat's Nichts, was so schön wie Soma.«
Die Duftorgel spielte ein köstlich erfrischendes Kräutercapriccio - kleine Arpeggiowellen von Thymian und Lavendel, Rosmarin, Basilikum, Myrte und Schlangenkraut, eine Folge kühner Modulationen durch die Aromen der Gewürze bis zu Ambra, dann langsam zurück über Sandelholz, Kampfer, Zedernholz und frisch gemähtes Heu (mit gelegentlichen, zart angedeuteten Dissonanzen einer Nasevoll Sauerkraut und einem leisen diskreten Geruch nach Roßäpfeln) zu den schlichten Duftweisen, mit denen das Stück begonnen hatte. Der letzte Hauch von Thymian verflüchtigte sich, Beifall ertönte, die Lichter flammten auf. Im Synthetofon begann sich das Tonband zu drehen. Ein Trio für Hypervioline, Supercello und Ersatzoboe erfüllte die Luft mit angenehmem Schmachten. Dreißig, vierzig Takte, dann erhob trällernd sich vor dem Hintergrund der Instrumente eine überirdisch schöne Stimme: bald kehlig, bald klar, dann wieder flötengleich oder schwer von brünstigem Wohllaut, stieg sie mühelos von Kaspar Försters tiefster Note an der äußersten Grenze musikalischer Töne zu einem Triller auf, weit höher als das höchste C, das im Jahre 1770 in der großherzoglichen Oper von Parma Lucrezia Agujari, als einzige Sängerin der Geschichte und zum Erstaunen Mozarts, ein einziges Mal markdurchdringend aus ihrer Kehle entsandt hatte.
In ihre pneumatischen Sessel versunken, schnupperten und lauschten Lenina und der Wilde. Nun kamen Augen und Haut an die Reihe.
Die Beleuchtung verlosch. Feurige Lettern standen massig und wie aus eigener Kraft im Dunkeln. »Drei Wochen im Helikopter. Ein hundertprozentiger Super-StereoTon-Farbenund -Fühlfilm mit synchronisierter Duftorgelbegleitung.«
»Legen Sie Ihre Hände auf die Metallknöpfe auf den Armlehnen Ihres Sessels«, flüsterte Lenina. »Sonst spüren Sie nichts.«
Der Wilde tat, wie ihm geheißen.
Inzwischen war die flammende Schrift verschwunden; zehn Sekunden tiefste Dunkelheit; und plötzlich erschien, blendend und unvergleichlich naturgetreuer, als sie in Fleisch und Blut aussehen konnten, wirklicher als in Wirklichkeit, das dreidimensionale Bild eines riesigen Schwarzen mit einer goldhaarigen, kurzschädeligen jungen Betaplus in den Armen.
Dem Wilden gab es einen Stoß. Dieses unglaubliche Gefühl auf seinen Lippen! Er hob die Hand zum Mund, das Kitzeln hörte auf; er ließ sie auf den Metallknopf zurückfallen, und sogleich begann es wieder. Die Duftorgel verhauchte unterdessen reinsten Moschus. Verröchelnd gurrte eine Tonband-Übertaube »U- uuh«, und mit nur zweiunddreißig Schwingungen in der Sekunde antwortete ein Baß, tiefer, als je Afrika gesungen: »Ah-aah!« - »Uuhaah! Uuh-aah!« Die plastischen Lippenpaare fanden einander von neuem, und wieder bebten die erogenen Gesichtszonen der sechstausend Gloriapalastbesucher in fast unerträglicher galvanischer Verzückung. »Uuh...«
Die Handlung des Films war äußerst simpel. Nach ein paar Minuten solcher Uuhs und Aahs - wobei noch ein Duett gesungen und etwas Liebe auf dem berühmten Bärenfell genossen wurde, von dem man tatsächlich (der Prädestinationsassistent hatte nicht übertrieben) jedes einzelne Haar fühlen konnte - folgte ein Hubschrauberabsturz, bei dem der Neger auf den Kopf fiel. Krachbumm! Wie das in die Stirnhöhle zwackte! Ein Chor von Ach und Weh stieg aus dem Publikum auf.
Durch den Aufprall ging die ganze schöne Normung des Negers flöten. Eine wahnsinnige, alles andere ausschließende Begier nach der blonden Beta überfiel ihn. Sie weigerte sich. Er ließ nicht locker. Daraus ergaben sich Kämpfe, Verfolgungen, ein Überfall auf einen Nebenbuhler und zuletzt eine atemberaubende Entführung. Die blonde Beta wurde in die Wolken verschleppt und dort drei Wochen lang in einer höchst unsozialen
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