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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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    Von jedem dieser Worte durchbohrt, entwich dem von Sigmunds seligem Selbstvertrauen prallen Ballon die Füllung aus tausend Wunden. Bleich und verstört, aufgeregt und elend ging er von einem Gast zum anderen, stammelte unzusammenhängende Entschuldigungen, beteuerte jedem, der Wilde werde nächstes Mal bestimmt erscheinen, und bat, doch sitzen zu bleiben und ein Karotinbrötchen, ein Schnittchen Vitaminpastete oder ein Glas Champagnerol zu nehmen. Man aß ordentlich, ohne ihn weiter zu beachten, man trank und sagte ihm Grobheiten ins Gesicht oder sprach hinter seinem Rücken laut und beleidigend über ihn, als wäre er gar nicht anwesend.
    »Und nun, meine teuren Freunde«, sagte der Erzchormeister von Köln, mit der schönen klangvollen Stimme, mit der er die Fordtagsfeiern leitete, »nun, meine Freunde, dürfte es wohl an der Zeit sein...« Er erhob sich, stellte sein Glas ab, fegte von seiner violetten Viskoseweste die Krümel eines ansehnlichen Imbisses und schritt zur Tür.
    Sigmund schoß auf ihn zu und stellte sich ihm in den Weg.»Sie wollen wirklich schon gehen, Eminenz? Es ist doch noch sehr früh. Ich hoffte, Sie würden - «
    Ach, was hatte er nicht alles erhofft, als Lenina ihm anvertraute, der Erzchormeister werde seiner Einladung Folge leisten, wenn er sie an ihn richte. »Ein äußerst netter Mann, das kannst du mir glauben.« Und sie hatte Sigmund den kleinen Zippverschluß in Form eines goldenen T gezeigt, den ihr der Erzchormeister zur Erinnerung an das Wochenende, das sie in der Erzchormeisterei verbrachte, geschenkt hatte. »Seine Eminenz, der Erzchormeister von Köln, und der Herr Wilde haben ihr Erscheinen zugesagt.«
    Auf allen Einladungskarten hatte Sigmund seinen Triumph in die Welt hinausposaunt. Aber dem Wilden hatte gerade an diesem Abend beliebt, sich in sein Zimmer einzuschließen und »Hani« zu brüllen, ja sogar - zum Glück verstand Sigmund kein Zuni - »Sons eso tse-na!«
    Was die Krönung seiner ganzen Laufbahn hätte sein sollen, war für Sigmund zur tiefsten Demütigung geworden.
    »Ich hoffte so sehr«, stammelte er noch einmal und sah beschwörend und angstvoll zu dem hohen Würdenträger auf.
    »Mein junger Freund«, sagte der Erzchormeister laut und mit feierlicher Strenge. Schlagartig wurde es still.
    »Nehmen Sie einen Rat von mir!« Er schüttelte drohend den Finger. »Bevor es zu spät ist. Einen guten Rat.« Er sprach jetzt mit Grabesstimme. »Bessern Sie sich, mein junger Freund, bessern Sie sich!« Er schlug ein T über ihn und wandte sich zum Gehen. »Lenina, mein Schatz«, rief er in völlig verändertem Ton, »komm mit!«
    Gehorsam, doch ohne zu lächeln, und für die hohe Ehre ganz unempfänglich, verließ Lenina wenig begeistert mit ihm das Zimmer. Die anderen Gäste folgten in ehrerbietigem Abstand. Der letzte schlug die Tür zu. Sigmund war allein.
    Durchbohrt und zusammengeschrumpft sank er auf einen Stuhl, schlug die Hände vors Gesicht und begann zuweinen. Aber ein paar Minuten später besann er sich eines Besseren und nahm vier Somatabletten.
    Droben in seinem Zimmer las der Wilde »Romeo und Julia«.
    Lenina und der Erzchormeister stiegen auf dem Dach der Singhalle aus. »Etwas rascher, meine teure Freundin Lenina, wollte ich sagen!« rief der Erzchormeister ungeduldig von der Aufzugstür. Lenina, die einen Augenblick verweilt hatte, um den Mond zu betrachten, schlug die Augen nieder und eilte über das Dach zu ihm.
    »Neue Theorie der Biologie« hieß die Abhandlung, die Mustafa Mannesmann soeben zu Ende gelesen hatte. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn saß er eine Weile, dann nahm er den Stift und schrieb schräg auf das Titelblatt: »Die mathematische Behandlung des Begriffs der Zweckbestimmtheit durch den Verfasser ist neu und scharfsinnig, die Schlüsse aber, zu denen er kommt, sind ketzerisch und, soweit sie die bestehende Gesellschaftsordnung betreffen, gefährlich und möglicherweise zerstörerisch. Zur Veröffentlichung nicht freigegeben.« Diese Worte unterstrich er. »Der Verfasser ist im Auge zu behalten. Seine Versetzung in die Station für Meeresbiologie auf Sankt Helena könnte erforderlich werden.« Schade, dachte er, während er unterschrieb. Es war ein Meisterwerk. Aber wenn man erst einmal Erklärungen zum Thema der Zweckbestimmung zuließ - ja, dann waren die Folgen nicht absehbar. Solche Gedanken untergruben nur zu schnell die Normung der weniger gefestigten Geister innerhalb der höheren Kasten, sie raubten ihnen den

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