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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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schützend, zum Badezimmer. Der heftige Schlag, mit dem er ihren Abgang beschleunigte, klang wie ein Pistolenschuß.
    »Au!« Lenina machte einen Satz.
    Im sicheren Port des verriegelten Badezimmers konnte sie in Muße die Schäden feststellen. Sie stellte sich mit dem Rücken zum Spiegel und verdrehte den Kopf. Über ihre linke Schulter blickend, sah sie den scharlachroten Abdruck einer geöffneten Hand, der sich klar von der perlenweißen Haut abhob. Sacht rieb sie die schmerzende Stelle.
    Nebenan schritt der Wilde auf und ab, marschierte, marschierte zum Takt der Trommeln und der Musik der Zauberworte. »Der Zeisig tut's, die kleine goldne Fliege, vor meinen Augen buhlt sie. Und doch sind Iltis nicht und hitz'ge Stute so ungestüm in ihrer Brunst. Vom Gürtel nieder sind's Zentauren, wenn auch von oben Weib; nur bis zum Gürtel sind sie den Göttern eigen: jenseits alles gehört den Teufeln. Dort ist Hölle, Nacht, dort ist der Schwefelpfuhl, Brennen, Sieden, Pestgeruch, Verwesung - pfui, pfui! Pah! Pah! Gib etwas Bisam, guter Apotheker, meine Phantasie zu würzen!«
    »Michel!« wagte sich ein schmeichelndes Stimmchen aus dem Badezimmer. »Michel!«
    »O du Unkraut, so reizend lieblich und von Duft so süß, daß du den Sinn betäubst! Dies reine Blatt, dies schöne Buch nur dazu, um Metze drauf zu schreiben? Den Himmel ekelt's...«
    Aber ihr Parfüm umschwebte ihn noch immer, seine Jacke war weiß vom Puder, der ihren samtenen Leib überduftet hatte. »Schamlose Metze, schamlose Metze!« Unerbittlich hämmerte sich der Rhythmus ein. »Schamlose -«
    »Michel, kann ich meine Kleider bekommen?«
    Er raffte die Hose, die Bluse und das Zipphemdhöschen zusammen.
    »Mach auf!« befahl er mit einem Tritt gegen die Tür.
    »Nein. Bestimmt nicht.« Ihre Stimme klang erschrocken und trotzig.»Wie soll ich dir dann deine Kleider geben?«
    »Schieb sie durch die Lüftung über der Tür!«
    Er tat es und nahm seinen unruhigen Rundgang durch das Zimmer wieder auf. »Schamlose Metze, schamlose Metze! Der Unzuchtteufel mit dem feisten Bauch und dem Kartoffelfinger -«
    »Michel!«
    Er antwortete nicht. »Mit feistem Bauch und dem Kartoffelfinger.«
    »Michel!«
    »Was gibt's?« fragte er barsch.
    »Macht es dir was aus, mir meinen Malthusgürtel zu reichen?«
    Lenina saß da und lauschte auf seine Schritte nebenan; wie lange würde er wohl so auf und ab marschieren? Sollte sie warten, bis er die Wohnung verlassen hatte, oder war es geheuer, seinem Wahnsinnsanfall Zeit zum Abklingen zu lassen, dann die Badezimmertür zu öffnen und wegzulaufen?
    Das Telefon im Nebenzimmer klingelte mitten in diese ängstlichen Erwägungen. Abrupt endete das Marschieren.
    Sie vernahm die Stimme des Wilden im Zwiegespräch mit dem Schweigen.
    »Hallo?«
    »Jawohl.«
    »Ich bin's - entthron ich mich nicht selbst.«
    »Ja. Haben Sie mich denn nicht verstanden? Hier spricht der Wilde.«
    »Was? Wer ist krank? Natürlich interessiert mich das.«
    »Ist es ernst? Es geht ihr sehr schlecht? Ich komme! sofort -«
    »Nicht mehr in ihrer Wohnung? Wohin hat man sie gebracht?«
    »O mein Gott! Wie ist die Adresse?«
    »Potsdam, Schwanenallee neunzig - nein? Neunundneunzig? Danke!«
    Lenina hörte das Knacken, als er den Hörer auflegte, dann hastige Schritte. Eine Tür fiel zu. Dann war es still.
    War er wirklich weg?
    Mit unendlicher Vorsicht öffnete sie die Tür ein wenig, spähte durch den Spalt; von der Leere im Zimmer ermutigt, öffnete sie die Tür etwas weiter und steckte den Kopf ganz hinaus; schlich endlich auf den Zehenspitzen ins Zimmer, stand ein paar Sekunden mit la ut klopfendem Herzen da und lauschte, lauschte. Dann huschte sie zur Wohnungstür, öffnete sie, schlüpfte hinaus, warf die Tür zu und rannte. Erst als sie im Aufzug schon den Schacht hinunterglitt, fühlte sie sich allmählich in Sicherheit.

Vierzehntes Kapitel
    Die Moribundenklinik in der Schwanenallee war ein sechzig Stockwerke hoher primelgelber Kachelturm. Als der Wilde aus dem Lufttaxi stieg, erhob sich surrend ein Kondukt bunter Leichenflugzeuge vom Dach und sauste über den Puppchensee zum Krematorium Spandau. An der Aufzugtür gab ihm der diensthabende Portier die verlangte Auskunft, worauf er in die siebzehnte Etage zu Saal 81, in die Abteilung für galoppierende Senilität (wie der Portier erklärt hatte), hinabfuhr.
    Es war ein großer Raum, strahlend von Sonnenschein und gelber Tünche, mit zwanzig Betten, alle belegt. Filine starb in Gesellschaft und mit allem

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