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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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Stunden am Tag auf Zelle, eine Stunde Ausgang.
    Kein Spiegel: Das kann man sich nicht vorstellen, aber ich hab ziemlich schnell vergessen, wie ich aussehe. Bald komme ich mir vor wie ein Gespenst, weil ich einfach nicht mehr weiß, wer das ist, der da mit mir spricht.
    Ich habe ja am Anfang geschrieben, ich gehe durch die Hölle. Na ja, wohl eher durch das Höllchen. Ja, ich weiß, ich habe übertrieben. Darf ich das nicht? Zugegeben, schön ist das nicht, aber schön ist Moabit auch nicht. Und vor allem so leer, so fürchterlich leer, da richtest du dir die Hölle schon selbst ein. Kannst du ja eh nur im eigenen Kopf.
    Meine Zelle ist so schrundig, Boden, Wände und Decken so vollgeschmiert, dass sich die Botschaften von Hotte und Maxi an den am besten zu erreichenden Stellen in drei Schichten drängeln. Dazu kommt ein Geruch von einer unheilvollen Melange von Körpersäften, von deren Existenz du im zivilen Leben nicht die Spur einer Ahnung hast. Nicht die Spur, glauben Sie mir!
    Am besten jedoch sind die Nächte. In der U-Haft hat keiner einen Fernseher, und lesen tun U-Häftlinge ja nicht wirklich. Also stehen sie am liebsten am Fenster und unterhalten sich mit ihren Mitgefangenen – ein paar Stock höher! Die anderen, jeweils in einer Zelle an den gegenüberliegenden Enden des Stocks wollen aber auch miteinander reden, also versuchen sie die Vertikal-Konversierenden zu übertönen. Das stört natürlich die, die wiederum diagonal nach unten versetzt untergebracht sind. Deshalb müssen auch die natürlich brüllen wie die Wasserbüffel, sonst verstehen sie sich ja nicht. Ist ja klar. Muss man verstehen.
    Warum aber alle auf die Nacht warten, ist mir bis heute nicht klar. Die könnten sich ja auch absprechen und abwechseln. Aber ich glaube, es geht eher um das Gemeinschaftserlebnis, sich gemeinsam die Seele rauszuschreien, sich gemeinsam zu verlieren. Und den Frust. Und das alles in den zwanzig gängigsten Sprachen. Das ist besser als Fernsehen. Als das deutsche allemal.
    Dazu kommen dann noch die Schreie der ganz normalen Wahnsinnigen. Zwar wäre es wahrscheinlich besser, sie wären in Behandlung, anstatt in kurzen aber regelmäßigen Abständen mit vollem Karacho mit dem Kopf gegen die Zellentür zu rennen, aber das ist ja U-Haft, da ist noch kein Gutachten gemacht, da ist noch kein Gerichtsprozess zu Ende, da sind natürlich noch alle zusammen.
    Andere hängen einfach nur so am Fenster und brüllen raus. Um die Stimmen in ihrem Kopf zu übertönen. Oder um nicht so einsam zu sein. Oder einfach aus Spaß an der Freude. Mann, die anderen brüllen ja auch. Ist ja klar. Muss man verstehen.
    Schräg unter mir ist einer, der das gesamte Gespräch in seinem Kopf überträgt. Mit vier oder fünf verschiedenen Stimmen. Wie viel genau, ist wegen des Hintergrundgebrülls aus den anderen Zellen nicht immer einfach zu entscheiden.
    Aber er hat eindeutig Talent. Und er ist spannend. An guten Tagen ist er besser als jedes gute Hörspiel. Allerdings muss man auch sagen, dass er eine Geschichte hat, mit der der WDR nicht konkurrieren kann. Selbst wenn man sie schon ungefähr zehntausendmal gehört hat.
    Er kann noch nicht alt sein, der Erzählstimme nach vielleicht Mitte zwanzig. Die etwas heisere Stimme in normaler Tonhöhe übernimmt immer die Rolle des Erzählers. Sie treibt die Geschichte voran. Sie ist so eine Art Ich. Soweit das noch zu erkennen ist. Sie weist die getriebenen, höheren Stimmen zurecht, mahnt sie zur Ehrlichkeit und bringt sie schon auch einmal zum Schweigen. Aber meistens nur kurz.
    Ihr großer Gegenspieler ist eine Stakkato-Stimme, gehetzt, von der Tonhöhe her fast die einer Frau. Sie ist der böse Geist des Gemarterten. Sie treibt ihn an zur Missetat. Sie verführt ihn, umgarnt ihn erst, wird mit der Zeit aber immer fordernder und beschimpft ihn schließlich, kreischt ihn an, du Waschlappen, du Feigling, du traust dich nicht, so dass die Erzählstimme kleinlaut wird und unsicher und droht unterzugehen und gänzlich zu verstummen.
    Oft ist da auch die Stimme einer jungen Frau, einer toten jungen Frau. Sie spricht die Grabesstimme aus dem Totenreich. Sie ist die schlimmste der Stimmen. Sie lässt die Haare auf meinen Armen abstehen und machte mir Gänsehaut, so dass ich mir die Finger in die Ohren stopfe, bis ich sie mit den Fingernägeln blutig kratze.
    Diese Stimme ist nicht laut. Ganz im Gegenteil. Das Schlimme an ihr ist ihre Ruhe, ihre Abgeklärtheit, ihre zurückgelehnte Kühlheit, ihre

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