Schönesding!
Aufkleber und Stempel zeigten auf den ersten Blick, dass es von weit hergekommen war. Aber es roch nach nichts, außer vielleicht nach altem Papier. Es war nicht besonders schwer, und wenn man es schüttelte, passierte auch nichts. Adressiert war es natürlich an Felder, und wo es herkam, zeigte ein vergilbter Schein in der linken oberen Ecke. In einer unsicheren Handschrift hatte sich dort ein Moussa Salim, Boite Postale 30 28, Gao, Mali als Absender eingeschrieben. Wer zum Teufel ließ sich ein Paket aus Mali schicken!
Die Stunden bis zum Abend dehnten sich. Die ganze Zeit stand bei mir das Paket auf dem Wohnzimmertisch und strahlte Wichtigkeit aus. Mehrere Male musste ich den Knilch des Verbotenen niederringen, der auf meiner Schulter saß und mir einflüsterte, na, mach es schon auf, was soll sein, mach es schon auf. Es kostete wirklich Kraft es nicht zu tun. Oder nur einmal kurz hinein zu spitzen. Was konnte da drin sein?
Der Karton war viel zu dick, um vor einer Lampe etwas preiszugeben. Also gab ich es auf. Aber meine Gedanken davon abwenden konnte ich nicht. Das Paket stand prominent auf dem Tisch. Daran war nichts zu machen. Die Augen davon konnte ich lassen, aber ich konnte nicht aufhören daran zu denken, wie ein kleines Kind in der Dunkelheit mit seinem neuen Spielzeug.
Am Abend, als ich endlich die Wohnungstür gehen hörte, hatte das Warten ein Ende. Ich schnappte das Paket, holte noch einmal tief Luft, postierte mich bemüht locker vor Felders Tür und klopfte.
Felder machte auf, wieder hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, wieder die Stöpsel im Ohr. Trotzdem wippte sein Kopf zur Musik, die aus seinem Zimmer drang. Oder nickte er mir aufmunternd zu?
Ich streckte ihm das Paket hin und erklärte ihm das mit dem Postboten. Dann: Ich bin der Mitbewohner und so. Mit dem Daumen zeigte ich auf meine Zimmertür hinter mir. Freut mich, dass wir uns einmal treffen und so. Weil ich seine Augen hinter seiner dunklen Brille nicht sehen konnte, und auch sonst sein Gesicht keine Reaktion zeigte, verging dieser Moment wie in Zeitlupe --- bis er endlich sagte: „Jah, Mahn. Freut mich auch, Mahn.“ - und er endlich seine Mundwinkel in ein Lächeln entließ.
Er nahm das Paket in Empfang. „Hey, die Tamarindensamen aus Gao. Darauf warte ich schon seit Wochen. Echt schwer zu kriegen, Mann. Kannste mir glauben.“ Er zog den Kopf ein bisschen zurück in sein Zimmer. „Kann ich dir was anbieten? Willste vielleicht reinkommen, Mahn?“
Ja, das wollte ich. Das wollte ich wirklich.
* 7 *
Nach zweieinhalb Monaten ist mein Prozess vorbei, das Urteil gesprochen, und ich komme nach Tegel. Genauer gesagt, in die Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, Haus 1, Einweisungsabteilung. Da muss jeder durch.
Lange Hölle Tegel: Planet Tegel, Tegalien, oder einfach Tejel – nennen Sie es wie Sie wollen - mit mehr als 1.600 Gefangenen ist das die größte Haftanstalt Deutschlands. Vom Mörder über den Betrüger bis zum Kleinkriminellen aus der Schönleinstraße treffen sich dort alle. Wenn jemand aus Berlin etwas angestellt hat, und Sie lesen darüber in der Zeitung, warten Sie am Tor in Tegel. Irgendwann kommt er dort vorbei.
Lange Hölle Tegel: Das ist eine kleine Stadt für sich. Mit Wäscherei, Bäckerei, Schlosserei, Schreinerei, eigenen Sportanlagen, eigenen Büchereien und einem eigenen Knast im Knast.
Lange Hölle Tegel: Das sind mehr als ein Dutzend backsteinroter Gebäude im Tegeler Forst gleich nördlich des Flughafens.
LaHö Tegel: Das ist vor allem die rote Backsteinkathedrale, die zwei massiven Türme, so eine Art Berliner Holsten-Tor. Solltest du es vergessen haben, erinnern sie dich gleich daran, dass das alles hier einmal angefangen hat als Kaiserlich Preußisches Zuchthaus Ende des 19. Jahrhunderts.
Die Türme sind das erste, was du siehst, wenn du das Tor hinter dir gelassen hast. Eigentlich sind sie nur eine Art zweites Tor, das sich nur als Kirche getarnt hat. Aber das weißt du dann noch nicht. Um weiter ins Gefängnis hinein zu kommen, betrittst du nämlich scheinbar die Kirche, in Wirklichkeit aber nur einen langen Gang, der unter ihr hindurchführt und dich dann im eigentlichen Teil der Anstalt wieder ausspuckt.
Dort gibt es sechs Gebäudekomplexe mit Gefangenen. Haus 1 nimmt die Neuankömmlinge auf. Dort ist auch der Bunker, ein Gefängnis im Gefängnis, eine Isolationsstation für Leute, die in Tegel beim Verkauf von Drogen erwischt wurden.
In Haus 2 sind die Kurzstrafer, Leute,
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