Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
des Silvesteressens auf BSE-freie Delikatessen konzentriert: die Gaben des Meeres und eingelegte Marienkäfer mit Spinat – das Essen der Zukunft. In der Wohnung roch es stark nach Schwefel, weil die Balkontür zu lange offen gestanden hatte.
    Noch zweimal wurde unser Haus von heftigen Explosionen erschüttert, doch kurz nach vier Uhr gingen den Vietnamesen die Möhren aus, und es wurde langsam ruhiger. Wie immer an einem solchen Tag sprachen wir über das Schicksal Russlands, über eine neue Platte unserer Lieblingsband »Leningrad« und über Maxim, der alle nasenlang eine neue Freundin hat.
    Danach hörten wir uns zum hundertstenmal die Geschichte von Markow an. Seine Wohnung in der Paul-Robeson-Straße war vor kurzem ausgebrannt, und das war wohl das Interessanteste, was dem Mann im letzten Jahr passiert ist. Er war fast der letzte Bewohner in dem alten Haus gewesen und wurde für die Medien zum Hauptopfer erkoren. Einen ganzen Tag lang gab er den verschiedenen Rundfunksendern und Zeitungen Interviews. Früher interessierte sich keine Sau für ihn. Nun wollten auf einmal alle wissen, wie er lebte, wie schrecklich seine Wohnung nach dem Brand verwüstet war, und wie er mit dem Unglück klarkäme. Ehrlich gesagt hatte seine Wohnung auch vor dem Brand nicht viel besser ausgesehen, aber das interessierte niemanden. Die Polizei richtete sofort einen fahrbaren Imbissstand für die Brandgeschädigten ein. Dort bekam Markow zwischen den Interviews kostenlose Kartoffelsuppe mit Bockwurst. Und Leute aus den nebenstehenden, aber noch nicht abgebrannten Häusern, brachten ihm säckeweise warme Unterwäsche vorbei. Am Abend kam es bei Markow auch noch zu einer Überschwemmung. Einige Tonnen Wasser, die von den Feuerwehrleuten aufs Dach gepumpt worden waren, ergossen sich in seine Wohnung.
    »So viele Abenteuer an einem Tag habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt«, meinte Markow. Doch schon am nächsten Tag ließ das Interesse nach. Auch uns ging er mit seinem Gejammere bald auf die Nerven, gleichzeitig tat er jedoch allen Leid. »Hoffentlich brennt es bei dir auch im nächsten Jahr wieder ein bisschen«, meinte Juri mitfühlend zu ihm während des Silvesteressens. Wir tranken den Sekt aus und gingen nach Hause schlafen.

Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: Mickey Rourke
    In den »Schönhauser Arcaden« fand eine
Pokémon
-Werbeveranstaltung statt. Ein
Pokémon
-Sammelspiel wurde angeboten und das nicht nur für Kinder. Alle albernen Erwachsenen, die sonst schon morgens früh in den »Arcaden« sitzen und mit Biergläsern spielen, durften ebenfalls mitmachen. Die drei Stockwerke des Kaufhauses waren von
Pokémon
-Fans jeden Alters überfüllt. Die Männer vom Sicherheitsdienst – als
Pokémon
-Figuren verkleidet – versuchten vergeblich, die Ordnung zu bewahren. Ein Dutzend kostümierter
Nintendo-
Freaks agierte ebenfalls in den Gängen. Als riesengroße Monster in Gelb, Braun und Violett drängten sie durch die Konsumentenmassen. Sie zerrten irgendwelche Kinder aus der Menge und gaben sie erst dann wieder frei, wenn die Eltern für fünf Mark ein Polaroidfoto von den Monstern gekauft hatten.
    Meine dreijährige Tochter Nicole und ich gingen vorsichtig Hand in Hand durch die »Arcaden« und versuchten, die bunten Gestalten zu meiden. Wir wollten eigentlich nur Schnaps und Zigaretten kaufen, an dem großen Sammelspiel waren wir nicht interessiert.
    Ein zwei Meter großer, gelb-brauner
Magmar
mit den Augen eines hungrigen Vampirs blockierte plötzlich die Rolltreppe vor uns. Er wedelte aggressiv mit seinem Schwanz und richtete seine Polaroidkamera auf die nichts ahnenden spielenden Kinder. »Diese Verbrecher gehören in den Knast«, meinte meine Tochter, und schubste mit einem Fußtritt in den Hintern das
Magmar
die Rolltreppe herunter. Sein Fotoapparat blieb oben liegen.
    »Wir müssen die Kinder von diesem Spuk befreien, bevor wir nach Hause gehen«, sagte sie.
    »Aber vielleicht wollen sie gar nicht befreit werden?«, widersprach ich.
    Doch meine Tochter blieb hart und kündigte eine Aktion an: »Befreiung des Kaufhauses von der Invasion fremder Monster«, das Motto dafür hatte sie auch schon: »Deutsche Kaufhäuser für deutsche Monster.« Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu helfen. So fingen wir an, alle japanischen Eindringlinge ausfindig zu machen. Wir drängten einen ekligen
Sleima
in die Ecke und verpassten ihm ein paar aufs Maul. Der violette
Sleimok
spürte die Gefahr

Weitere Kostenlose Bücher