Schoenhauser Allee
die Schulter. Der schaute das Internet misstrauisch an, als hätte er wirklich keine Ahnung davon.
»Bist du überhaupt drin?«, fragten wir ihn. »Hast du zu Hause einen Anschluss?«
Mehmet schüttelte den Kopf. Uns wurde klar, dass das hier praktisch seine erste Begegnung mit dem Internet war. Zur Beruhigung rauchte Mehmet erst einmal eine Tüte, und schon bald hatte er sich von seinem Schock erholt und konnte sogar das Internet an der Wand anschauen, ohne gleich wieder zappelig zu werden.
»So sieht sie also aus, unsere Zukunft?«, fragte er vorsichtig, und nahm noch einen tiefen Zug aus dem Joint.
»Genau so«, bestätigten wir ihm.
Mädchen aufreißen in Schwäbisch Hall
Mein Freund und Nachbar Jakob, der in Berlin seit Jahren erfolglos versucht, schauspielerische Karriere zu machen, hatte endlich Glück. Er durfte im »Glöckner von Rotterdam« einen der Soldaten in einer Massenszene spielen, und das im Sommertheater Schwäbisch Hall. Für drei Monate Arbeit gab es 18000,– DM netto auf die Hand. Begeistert verabschiedete er sich von Prenzlauer Berg, packte seine Sachen und fuhr los.
Doch das Geld war nicht so leicht zu verdienen, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Dort, auf der großen Bühne des Sommertheaters, hatte Jakob jeden Abend mit einer Herde lebendiger Schafe zu kämpfen – eine Regieerfindung. Die Schafe hatten starkes Lampenfieber und schissen meinen Freund von oben bis unten voll. Immer wieder musste er sein Kostüm waschen, doch der Geruch ging nicht mehr heraus. Spätabends, wenn die Vorstellung vorbei war, zog Jakob die stinkenden Klamotten aus, und ging in den Straßen von Schwäbisch Hall spazieren. Seine zweitgrößte Leidenschaft neben der Schauspielerei ist es nämlich, Mädchen aufzureißen. Die jungen Frauen in der Stadt sahen modern aus, sie trugen Biotattoos und Halogenkleider, sie schwärmten herum und lächelten Jakob zu.
Nach geraumer Zeit gelang es ihm, ein Mädchen kennen zu lernen. Sie gingen zusammen essen. Er machte Witze über die kleinstädtischen Sitten, sie lachte gern mit. Nach dem Kaffee, als Jakob sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, seine kleine, aber gemütliche Bude zu besichtigen, wurde sie ernst und fragte ihn, ob er schon einen Bausparvertrag hätte. Jakob hatte ihn nicht. Weniger später stellte er fest, dass alle Bewohner der Stadt mehr oder weniger bausparbeschädigt sind.
Nachdem meinem Freund klar wurde, was für eine große Rolle der Bausparvertrag im Privatleben der Schwäbisch Haller spielte, und dass er ohne ihn gar keine Chancen bei Mädels hatte, suchte er verzweifelt nach einem Bordell. In Deutschland gibt es folgende Regelung: Ab 35000 Einwohnern darf jede Stadt offiziell ein Bordell besitzen. Das einzige Bordell in Schwäbisch Hall gab es zwar trotz unzureichender Einwohnerzahl schon lange, nur gut versteckt war es, wie in kleinen Städten üblich. Als dieses Jahr die Zahl der Einwohner endlich um stolze 0,013 Prozent wuchs und 35008 erreichte, nutzten die Bordellbesitzer die neue Lage und hängten eine rote Laterne draußen auf. Sofort fand sich eine Bürgerinitiative für eine »bordellfreie Stadt« zusammen. »Unsere Kinder fühlen sich auf der Straße nicht mehr sicher«, beschwerte sich ihr Sprecher. Kurz darauf wurde die Laterne wieder abgehängt.
Jakob, der ein Halbperser ist, merkte, dass es in Schwäbisch Hall gar keine Ausländerfeindlichkeit gibt. Die Bewohner erklärten mit Stolz den Grund dafür: In Schwäbisch Hall haben sie so gut wie gar keine Ausländer. Das Bordell ist der einzige Ort, wo man Bürger ausländischer Herkunft treffen kann. Nicht dass sie dort nach dem Vergnügen suchen – sie arbeiten hart.
Als Jakob wieder auf der Schönhauser Allee aufkreuzte, war das schöne Geld auch fast alle. Doch seine Glückssträhne verließ ihn nicht. Er ist nun jeden Abend auf
Sat1
zu sehen, wo er in einem Werbespot für
Radeberger Pilsener
gewinnend den Frauen zulächelt.
Kleine kostenlose Freunde
Vierzig Minuten lang beobachtete ich einen Pinguin im Fernsehen. Er war richtig klasse, kein bisschen kamerascheu, und benahm sich auch sonst viel aufrichtiger und offener als professionelle Schauspieler, die üblicherweise für die Unterhaltung im Fernsehen zuständig sind. Diese Leute kriegen tierisch Kohle, erzählt man. Der Pinguin dagegen macht es umsonst. Mein Freund, der Intellektuelle, sagt, er kuckt nur noch Tierfilme, weil ihm die Menschen auf dem Bildschirm immer zu verlogen daherkommen, und mein anderer
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