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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Freund, der Student, beschwert sich, dass man heutzutage wirklich guten bösartigen Sex nur noch in Tierfilmen finden kann. Meine Frau kuckt gerne Tierfilme, weil sie die Tiere einfach süß findet. Und meine Tochter kuckt, weil sie dort alle ihre Lieblingsmärchenfiguren sozusagen live sehen kann.
    Ich empfinde dagegen den Sieg des Tierfilms in der Unterhaltungsbranche eher als allgemeines Versagen der menschlichen Zivilisation, die mit ihren Talkshows und »Spiegel spezial«-Ausgaben gegen die einfachen Schönheiten der Natur nichts qualitativ Vergleichbares anzubieten hat. Hunderte amerikanischer, australischer und europäischer Filmemacher stopfen sich ihre Rucksäcke mit teuren optischen Geräten voll, und fahren in den Wald oder in die Wüste, klettern auf Berge oder tauchen ins Meer. Sie sitzen monatelang auf einer Palme, verstecken sich im Busch, und drehen, drehen, drehen. Dann erscheint der Pinguin auf dem Bildschirm in meinem Wohnzimmer, und demonstriert überzeugender als Jack Nicholson und Robert DeNiro zusammen, was Sache ist.
    Die Tierfilme sind nicht nur anschaulicher als die Menschenfilme, sie sind auch informativer. Ein Pinguinfilm erzählt mehr als zehn Abendschauen, und seit ich mit meiner Familie immer Tierfilme im Fernsehen kucke, weiß ich mehr über unsere Welt als je zuvor. Ich weiß, wie viele Liebespartner pro Woche das durchschnittliche Schnabeltier braucht, und wo es dann seine Eier hinlegt. Ich weiß, dass die weiblichen Giraffen einen längeren Hals haben als die männlichen und dass eine Zikade bloß zwanzig Minuten lebt, dafür aber ihre Eier 6000 Jahre reifen. Ich weiß, welche Kakteen welcher Specht zum Nestbau bevorzugt und warum. Ich weiß, wer den kleinsten Magen der Welt hat und wer den größten Schwanz. Die Vorstellung jedoch, dass die tierischen Darsteller für ihre Leistungen keinen Pfennig bekommen, betrübt mich. Der Mensch im Tierfilm ist derjenige, der abkassiert.
    Neulich träumte ich, dass wir ein Schreiben von einer Babelsberger Filmproduktionsgesellschaft namens Schmücker bekommen hätten, mit einem merkwürdigen Angebot: Falls wir bereit wären, unser Chinchilla in einem Pornofilm die weibliche Hauptrolle spielen zu lassen, würden wir als Honorar eine zweiwöchige Reise für zwei Personen zu einem exotischen Reiseziel unserer Wahl umsonst kriegen – mit Hotel und allem Drum und Dran. Ich hielt das Schreiben für einen blöden Witz, doch meine Frau überredete mich schließlich, bei der Produktionsfirma wenigstens anzurufen und zu fragen, was denn genau unser Chinchilla in dem Film machen solle. »Ja«, sagte die freundliche Filmproduktionsleiterin, »das kann ich Ihnen sagen: Laut Drehbuch muss sie sich von fünf Zwergkaninchen in verschiedenen Farben von hinten vögeln lassen. Ich sagte ihr gleich: »Nein, das machen wir auf keinen Fall mit«, und legte den Hörer auf. Dann war der Traum zu Ende.
    Aber seitdem habe ich das Gefühl, dass unser Chinchilla »Dusja« mich ständig vorwurfsvoll ankuckt, weil ich ihr ihre Filmkarriere versaut habe.

Meine Tante auf der Schönhauser Allee
    Meine Tante hat eine besondere Gabe. Wo immer sie sich aufhält, schafft sie unglaubliche Situationen und gerät blitzschnell in Konflikte mit allen möglichen Leuten. Dabei kann sie so gut wie überhaupt kein Wort Deutsch. Vor einem Jahr, nach ihrem fünfundfünfzigsten Geburtstag, zog sie von Düsseldorf nach Berlin, in eine Wohnung in der Schönhauser Allee. Die unmittelbare Nachbarschaft mit meiner Tante machte mir mein ohnehin nicht leichtes Leben sofort noch schwerer.
    Neulich bestellte sie zum Beispiel einen Kardiologen zu sich nach Hause. Sie hat ein schwaches Herz und traut sich nicht, an einem heißen Tag zum Arzt zu gehen, um ein EKG machen zu lassen. Mich hatte sie schon vor langer Zeit gebeten, einen Fernsehmechaniker für sie zu bestellen, weil ihr Apparat verrückt spielte: An den spannendsten Stellen, wenn meine Tante »Big Brother« oder »Liebe Sünde« ankuckte, fing die Kiste an, sich selbst willkürlich um- oder abzuschalten. Ich vereinbarte mit einer Reparaturwerkstatt einen Termin, vergaß jedoch, meine Tante davon in Kenntnis zu setzen.
    Sie saß allein zu Hause, als es an der Tür klingelte. Ein Mann mit einem großen Koffer betrat die Wohnung. Meine Tante hielt ihn für den Kardiologen, machte den Oberkörper frei und legte sich auf ihr Bett. Der Mann schaute sie etwas verunsichert an, stellte seinen Koffer ab, und schaltete den Fernseher ein. Auf
RTL
lief

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