Schönheit der toten Mädchen
Hacken und Spaten und folgt mir!«
Nur der junge Linkow sprang auf. Der alte Wachtmeister Pribludko blieb sitzen, und die Gendarmen drehten sich weg. Sie hatten sich bei der ungewohnten Arbeit genug geschunden und verausgabt, außerdem war Tulpow nicht ihr Chef und machte auch keinen soliden Eindruck. Aber Anissi war nicht mehr zu bremsen und brachte die Männer auf Trab.
Und zu Recht, wie sich herausstellen sollte.
Spät am Abend, schon kurz vor Mitternacht, saß Anissi bei seinem Chef in der Kleinen Nikitskaja-Straße (eine schöne Wohnung von sechs Zimmern, mit Kachelöfen, mit elektrischem Licht und Telefon), aß etwas und wärmte sich mit Grog auf.
Es war ein besonderer Grog, aus japanischem Sake, Rotwein und Backpflaumen, zubereitet nach einem Rezept des fernöstlichen Menschen Masahiro Sibata, kurz Masa, Fandorins Diener. Übrigens hatte der Japaner in Sprache und Benehmen nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Diener. Er ging ungezwungen mit Fandorin um und betrachtete Anissi überhaupt nicht als Respektsperson. Anissi nahm bei ihm Unterricht zur körperlichen Ertüchtigung und mußte von dem gestrengen Lehrer viel Schimpf und Hohn einstecken, sogar Prügel, getarnt als Unterweisung im japanischen Faustkampf. Wie sehr Anissi auch schummelte und sich vor den widerlichen fremdländischen Weisheiten zudrücken versuchte, sein Chef war unerbittlich. Fandorin hatte ihm befohlen, die Griffe des Jiu-Jitsu zu erlernen: Und wenn du Blut und Wasser schwitzt, aber erlerne sie. Doch Anissi brachte es als Sportler nicht weit, auch wenn er Blut und Wasser schwitzte.
»Hast du heute son hundert Kniebeugen gemachen?« fragte Masa furchteinflößend, als Anissi gerade ein paar Bissen gegessen hatte und seine Wangen sich vom Grog rosig färbten. »Und mit Hand auf Eisen gehaun? Zeig Hand.«
Anissi versteckte die Hände auf dem Rücken, denn er war zu faul, tausendmal am Tag auf »Eisen«, eine spezielle Eisenstange, zu hauen, außerdem tat es weh. An den Handkanten wollten partout keine harten Schwielen wachsen, und Masa schalt ihn tüchtig.
»Sind Sie mit dem Essen fertig? Dann können Sie Erast Petrowitsch Bericht erstatten«, erlaubte Angelina und räumte das Geschirr ab, ließ nur den Silberkrug mit dem Grog und die Becher auf dem Tisch.
Schön war Angelina, eine Augenweide: das dunkelblonde Haar zu einem üppigen Zopf geflochten und im Nacken zu einer Brezel gesteckt, ein reines helles Gesicht, große graue Augen, die ernst blickten und die sie umgebende Welt mit Licht zu überströmen schienen. Eine besondere Frau, wie man sie nicht oft sah. Den unansehnlichen Anissi mit den abstehenden Ohren würde eine solche Schwänin keines Blicks würdigen. Fandorin hingegen war in jeder Hinsicht ein vollendeter Kavalier, und die Frauen liebten ihn. In den drei Jahren, die Anissi sein Assistent war, hatten im Seitenflügel in der Kleinen Nikitskaja schon einige Frauen, eine schöner als die andere, das Zepter geschwungen und waren wieder verschwunden, aber eine so schlichte und lichte Frau wie Angelinahatte es noch nicht gegeben. Es wäre schön, wenn sie länger bliebe, am besten für immer.
»Danke ergebenst, Angelina Samsonowna«, sagte Anissi und folgte ihrer schlanken hohen Gestalt mit den Augen.
Eine Zarentochter, ja wirklich, auch wenn sie kleinbürgerlicher Herkunft war. Immer hatte der Chef Zaren- oder Königstöchter. Aber das war auch kein Wunder bei solch einem Mann.
Angelina Krascheninnikowa war vor Jahresfrist in der Kleinen Nikitskaja eingezogen. Fandorin hatte ihr, einer Waise, in einer komplizierten Sache geholfen, und sie hatte sich ihm verbunden. Offenbar wollte sie ihm danken, so gut sie konnte, und außer ihrer Liebe hatte sie nichts. Jetzt konnte man sich gar nicht mehr vorstellen, wie man hier früher ohne sie ausgekommen war. Behaglich war es geworden in der Junggesellenbehausung des Kollegienrats, warm und herzlich. Anissi hatte sich auch früher gern hier aufgehalten, aber jetzt erst recht. Und der Chef schien in Angelinas Gegenwart schlichter und milder zu sein. Das stand ihm gut.
»Na schön, Tulpow. Sie sind satt und betrunken, nun e-erzählen Sie, was Sie dort mit Ishizyn ausgegraben haben.«
Fandorin sah ungewöhnlich verlegen aus. Er hat ein schlechtes Gewissen, erriet Anissi, weil er nicht selber zur Exhumierung gefahren ist, sondern mich hingeschickt hat. Dabei war Anissi doch froh, daß er sich nützlich machen und seinen vergötterten Chef vor unnötigen Erschütterungen bewahren
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