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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sagen, wenn’s nur Ihre Beine wären, Tulpow. Haben Sie keine Angst, daß die Gendarmen Ihnen aus Versehen eins mit der Hacke überziehen? Dann werde ich in aller Form einen Bericht schreiben: Anissi Tulpow hat seinen Tod selbst verschuldet – er ist gestolpert und mit seinem dummen Kopf auf einen Stein gefallen. Grumow wird es bezeugen. Sie hängen uns mit Ihren verfaulten Kadavern zum Halse heraus. Stimmt’s, Grumow?«
    Der schwindsüchtige Assistent bleckte die gelben Zähne, wischte mit dem schmutzigen Handschuh über die beulige Stirn und sagte: »Jegor Williamowitsch scherzen.«
    Die Bemerkungen des zynischen, grobschlächtigen Doktors nahm Anissi ja noch hin. Schlimmer war, daß er sich von dem widerlichen Ishizyn verspotten lassen mußte.
    Der wichtigtuerische Untersuchungsführer war im Morgengrauen zum Friedhof gekommen, ihm war wohl Anissis Vorhaben zu Ohren gekommen. Zuerst hatte er befürchtet, die Ermittlungen könnten ohne seine Teilnahme Fortschritte machen, doch dann beruhigte er sich und war wieder obenauf.
    »Vielleicht«, sagte er, »haben Sie und Fandorin noch andere geniale Ideen? Wollen Sie auch noch in den Müllgruben wühlen, während ich die Ermittlungen führe?«
    Sieghaft kichernd, fuhr er davon, der Kleingeist.
     
    Unverrichteter Dinge kehrte Anissi in die Kleine Nikitskaja zurück.
    Mißmutig stieg er die Treppe hoch und klingelte an der Tür.
    Masa öffnete. In weißem Gymnastikanzug mit schwarzem Gürtel, um den Kopf eine Stirnbinde mit der Hieroglyphe »Fleiß«.
    »Tag, Tuli-san. Komm Renshu machen.«
    Das fehlte noch. Anissi konnte sich ohnehin kaum noch auf den Beinen halten.
    »Ich muß dem Chef eine wichtige Meldung machen«, versuchte er sich zu drücken. Doch Masa war nicht hinters Licht zu führen. Er tippte mit dem Finger auf Anissis abstehende Ohren und erklärte kategorisch: »Wenn du wichtige Merdung hast, deine Augen gros und Ohren lot, aber jetzt Augen klein und Ohren weiß. Anzieh Turnhose. Wir üben.«
    Manchmal trat Angelina für Anissi ein, nur sie konnte den Druck des verteufelten Japaners abwehren. Doch die klaräugige Hausherrin war nicht da, und der Tyrann zwang den armen Anissi, gleich in der Diele den Turndreß anzuziehen.
    Sie gingen in den Hof. Anissi hüpfte fröstelnd von einem Bein aufs andere – der Boden war kalt –, schwenkte die Arme, brüllte »o-osu!«, und dann begann die Gemeinheit. Masa sprang ihm von hinten auf die Schultern und befahl ihm, im Kreis zu laufen. Der Japaner war nicht groß, aber gedrungen und stämmig und wog mindestens vierundsiebzig Kilo. Anissi drehte recht und schlecht zwei Runden, dann kam er aus dem Takt. Und der Peiniger rief ihm ins Ohr: »Gaman! Gaman!«
    Das war sein Lieblingswort und bedeutete »Ausdauer«. Anissi hatte noch Gaman für einen halben Kreis, dann brach er zusammen. Nicht ohne Hintergedanken – direkt vor einer großen schmutzigen Pfütze, damit der widerlicheGötze über ihn hinwegfliege und ein Bad nehme. Masa flog zwar wirklich über den Gestürzten hinweg, plumpste aber nicht in die Pfütze, sondern tauchte nur die Finger ein, federte sich mit den Händen ab, vollführte in der Luft einen unmöglichen Salto und landete jenseits des Wasserhindernisses auf den Beinen.
    Er schüttelte den runden Kopf und sagte resigniert: »Nasön, geh wassen.«
    Anissi war vom Hof wie weggeweht.
     
    Den Bericht seines Assistenten (der sich gewaschen, umgezogen und gekämmt hatte) hörte Fandorin in seinem Kabinett an, dessen Wände mit japanischen Gravüren, Waffen und Gymnastikgeräten bedeckt waren. Obwohl Mittag schon vorüber war, trug der Kollegienrat noch seinen Hausrock. Daß Anissi keine Resultate vorweisen konnte, betrübte ihn nicht im geringsten, sondern schien ihn eher zu erfreuen. Im übrigen äußerte er keine sonderliche Verwunderung.
    Als der Assistent verstummt war, ging Fandorin durchs Zimmer, fingerte die geliebte Gebetskette aus Jade und sagte den Satz, bei dem Anissi immer ein wohliges Ziehen im Herzen spürte: »Also, ü-überlegen wir.«
    Der Chef klackerte mit den grünen Steinkügelchen, die Quasten an seinem Hausrock schaukelten.
    »Denken Sie nicht«, begann er, »daß Ihr Ausflug zum Friedhof umsonst war.«
    Einerseits war es angenehm, das zu hören, andererseits fand Anissi das Wort »Ausflug« im Zusammenhang mit seinen morgendlichen Qualen nicht recht angebracht.
    »Wir mußten uns vergewissern, daß vor November keine Fälle von Verstümmelung der Opfer v-vorgekommen sind.Ihre

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