Schönheit der toten Mädchen
erfüllte mich ein Gefühl von Begeisterung und Unverwundbarkeit – nach der gestrigen Ekstase.
Regen und Matsch, tagsüber viel Arbeit, aber keine Spur von Müdigkeit. Die Seele jubiliert, es drängt mich hinaus ins Freie, ich will über die umliegenden Straßen und Plätze schlendern.
Wieder ist es Abend. Ich gehe durch die Protopopowski-Gasse zur Kalantschowka. Dort steht ein Weib, eine Bäuerin, feilscht mit einem Droschkenkutscher. Sie werden sich nicht einig, der Kutscher fährt davon, sie aber steht da und trampelt verdrossen auf der Stelle. Ich sehe genauer hin, sie hat einen gewaltigen, aufgeblähten Leib. Schwanger, mindestens im siebten Monat. Es gibt mir einen Stich ins Herz: eine Fügung des Schicksals.
Ich gehe näher – alles stimmt. Genau die Richtige. Schmutzig
verquollenes Gesicht. Ausgefallene Brauen und Wimpern – wahrscheinlich Lues. Man kann sich schwerlich ein Geschöpf vorstellen, das von dem Begriff Schönheit weiter entfernt wäre.
Ich spreche sie an. Sie ist aus dem Dorf gekommen, um ihren Mann zu besuchen. Er arbeitet im Arsenal.
Alles geht lächerlich einfach. Ich sage ihr, das Arsenal sei ganz in der Nähe, und biete ihr meine Begleitung an. Sie hat keine Angst, weil ich heute eine Frau bin. Ich führe sie über Ödplätze zum Teich der Immerowski-Gärtnerei. Dort ist es dunkel und menschenleer. Unterwegs beklagt sich die Frau, wie schwer ihr Leben im Dorf sei. Ich bedaure sie.
Ich gehe mit ihr ans Ufer und sage ihr, um sie nicht zu beunruhigen, daß eine Freude ihrer wartet. Worauf sie mich stumpf anguckt. Sie stirbt schweigend. Zu hören ist nur das Pfeifen der Luft aus ihrer Kehle und das Gluckern des Blutes.
Ich bin begierig, die Muschel zu öffnen, und warte nicht, bis die Zuckungen vorbei sind.
Aber mich erwartet eine herbe Enttäuschung. Als ich mit ungeduldig zitternden Händen die Gebärmutter öffne, überkommt mich Ekel. Der lebende Embryo ist häßlich und hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Perle. Er sieht genauso aus wie die Mißgeburten in den Spiritusgläsern auf dem Katheder von Professor Linz. Er bewegt sich, sperrt den kleinen Mäusemund auf. Angewidert schleudere ich ihn beiseite.
Schlußfolgerung: Ein Mensch muß, genau wie eine Blume, reifen, um schön zu werden. Jetzt weiß ich, warum ich Kinder nie schön fand – sie sind Zwerge mit einem unproportional großen Kopf und einem unentwickelten System der Reproduktion.
Die Moskauer Fahnder sind munter geworden – die gestrige Dekoration hat die Polizei endlich von meinem Erscheinen in
Kenntnis gesetzt. Lächerlich. Ich bin schlauer und stärker, sie werden mich nie kriegen. »Welch ein Künstler stirbt mit mir«, sagte Nero. Das gilt auch für mich.
Aber die Leiche des Weibes und ihr Mäusejunges werde ich im Teich versenken. Was soll ich schlafende Hunde wecken, und es gibt auch keinen Grund zum Prahlen, eine würdige Dekoration ist nicht zustande gekommen.
»Ein Päcksen«
5. April, Karmittwoch, Vormittag
Am Morgen hatte sich Fandorin in seinem Kabinett eingeschlossen, um nachzudenken, und Tulpow war wieder auf den Boshedomka-Friedhof gefahren, um die Oktober- und Septembergräben zu öffnen. Er hatte es selbst vorgeschlagen. Man mußte doch herausfinden, wann der Moskauer Mörder mit seinen »Kunstwerken« begonnen hatte. Der Chef hatte nicht widersprochen. »Fahren Sie«, sagte er, während er mit seinen Gedanken schon weit weg war – er deduzierte.
Die Arbeit war noch gräßlicher als am Vortag. Die Leichen, bereits vor dem Frost begraben, waren stark verwest. Sie anzusehen überstieg Menschenkraft, und die verpestete Luft zu atmen, erst recht. Anissi mußte sich ein paarmal übergeben, er kam nicht dagegen an.
»Siehst du«, sagte er matt lächelnd zu dem Wärter, »mir wachsen keine Schwielen.«
»Es gibt Leute, bei denen wachsen überhaupt keine«, antwortete der Wärter und wiegte teilnahmsvoll den Kopf. »Selbige haben es besonders schwer auf Erden. Dafür liebt Gott sie am meisten. Na komm, Jungchen, trink von meinem Brand.«
Anissi setzte sich auf die Bank, trank einen Kräuterschnaps, plauderte mit dem Friedhofsphilosophen über dies und das, lauschte seinen Geschichten, erzählte von seinem Leben, schöpfte ein wenig Mut und ging wieder zu den Gräben.
Aber es war alles umsonst – in den alten Gräben fand sich nichts, was der Ermittlung weitergeholfen hätte.
Sacharow sagte gallig: »Was man nicht im Kopf hat, muß man in den Beinen haben, dagegen wäre nichts zu
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