Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
gegen die Tür, daß sie fast aus den Angeln sprang.
    In der Türöffnung stand Bremse – sturzbetrunken, ein wüstes Grinsen in der glatten Visage. Ach, die Nachbarn, das Rattenpack von Gratschowka, die hatten es ihm sofort gesteckt.
    »Schmust ihr?« Er bleckte die Zähne. »Und mich arme Waise habt ihr vergessen?« Das Grinsen verschwand von seiner Visage, die zottigen Brauen schoben sich zusammen. »Mit dir, Ines, du Blattlaus, verhandle ich später. Ich seh, du hast zu wenig gekriegt. Und du Kormoran, komm mit raus auf den Hof. Ich hab was mit dir zu bequatschen.«
    Ines stürzte zum Fenster – auf dem Hof standen seine beiden Kreaturen – Eber und Grab.
    »Geh nicht mit!« rief sie. »Die bringen dich um! Hau ab, Bremse, sonst schrei ich ganz Gratschowka zusammen!«
    Sie holte schon tief Luft, um ein Geheul anzustimmen, aber Erastik ließ es nicht zu.
    »Was soll das, Ines«, sagte er. »Laß mich doch mit dem Mann reden.«
    »Erastik, Grab trägt unterm Hemd einen Stutzen«, erklärte Ines dem Unverständigen. »Die knallen dich ab. Knallen dich ab und stopfen dich in ein Abflußrohr. Das wär nicht das erstemal.«
    Doch der Liebste hörte nicht auf sie, winkte ab. Er zog aus der Jackentasche ein großes Portemonnaie aus Schildpatt.
    »Keine Angst«, sagte er, »ich kauf mich los.«
    Und er ging mit Bremse hinaus, in den sicheren Tod.
    Ines plumpste mit dem Gesicht auf ihre sieben Kissen und heulte dumpf – beklagte ihr unglückliches Los, ihren unerfüllten Traum, ihre ewige Qual.
    Draußen krachte es rasch aufeinander einmal, zweimal, dreimal, viermal, und jemand schrie auf, nicht nur einer, mehrere brüllten im Chor.
    Ines hörte auf zu heulen und blickte zu der in der Ecke hängenden Ikone der Gottesmutter, die zu Ostern mit Papierblumen und bunten Lämpchen geschmückt war.
    »Heilige Mutter Gottes«, bat Ines, »vollbringe ein Wunder vor dem Heiligen Ostersonntag, laß Erastik lebendig sein. Verwundet macht nichts, ich pflege ihn. Hauptsache lebendig.«
    Und die Fürsprecherin hatte Erbarmen mit Ines – die Tür quietschte, und herein kam Erastik. Nicht verwundet, nicht beschädigt, nicht einmal der schöne Schal war verrutscht.
    »Das war’s«, sagte er. »Ines, wisch dir die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. Bremse wird dich nicht mehr anrühren, womit auch, ich hab ihm beide Griffel durchlöchert. Und die beidenandern Gestalten werden mich auch nicht vergessen. Zieh dich an und bring mich zu deiner Glaschka.«
    Wenigstens ein Traum erfüllte sich. Ines stolzierte mit ihrem Prinzen durch ganz Gratschowka, führte ihn absichtlich auf Umwegen, obwohl es bis zur Kneipe »Wladimir«, wo Glaschka wohnte, über die Höfe näher gewesen wäre, vorbei an der Müllgrube und der Abdeckerei. Ines trug ein Samtjäckchen und ein Batistblüschen, sie weihte ihren neuen Krepprock ein und schonte auch nicht die Stiefelchen, die für trockenes Wetter bestimmt waren. Ihr tränenverquollenes Gesicht hatte sie gepudert, ihren Pony auftoupiert. Sanka und Ljudka hatten allen Grund, grün anzulaufen. Bloß schade, daß Adelaida ihr nicht über den Weg lief. Aber die Freundinnen würden ihr schon alles erzählen.
    Ines konnte sich nicht satt sehen an dem Liebsten, blickte ihm immer wieder ins Gesicht und schwatzte wie eine Elster: »Glaschka hat eine Tochter, die schiech ist. Gute Leute haben mir gesagt: ›Frag die Glaschka, die mit der schiechen Tochter.‹«
    »Schiech? Wieso?«
    »Sie hat ein Feuermal übers halbe Gesicht. Blaurot, schauerlich. Ich würd mich lieber aufhängen, als mit solcher Physonomie rumzulaufen. Bei uns im Nachbarhaus wohnte Nadja, die Tochter vom Schneider …«
    Noch bevor sie von der buckligen Nadja erzählen konnte, waren sie bei der Kneipe angelangt.
    Sie stiegen die knarrende Treppe hinauf. Glaschkas Kammer war ein elendes Loch, nicht zu vergleichen mit dem Zimmer von Ines. Glaschka selber stand vor dem Spiegel und malte sich an, es war bald an der Zeit, auf die Straße zu gehen.
    »Glaschka, ich habe hier einen guten Menschen zu dir gebracht. Antworte ihm auf seine Fragen, er will etwas über den Unhold wissen, der mit dem Messer auf dich losgegangen ist«, sagte Ines und setzte sich sittsam auf einen Stuhl.
    Erastik legte sofort einen Dreirubelschein auf den Tisch. »Nimm, Glaschka, für deine Bemühungen. Was war das für ein Mann? Wie sah er aus?«
    Glaschka, ein ansehnliches Mädchen, wenn auch in den Augen der strengen Ines nicht reinlich, warf nicht mal einen Blick auf den

Weitere Kostenlose Bücher