Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
jedenfalls für den Augenblick. Was in Zukunft geschehen wird, kann man ja nicht wissen. Und wenn wir auf den tiefsten Grund des Meeres versetzt würden, wir würden kaum irgendwohin kommen können, wo es schlimmer ist als hier.
Die Verluste waren groß, nicht zuletzt unter seinen dänischen Freunden. Die meisten sind dem permanenten Artilleriefeuer zum Opfer gefallen:
Dass Peter Østergaard fallen musste, dieser gute, liebe Freund, das kann ich nicht begreifen. Welche Opfer doch gefordert werden. Rasmus Nissen hat schwere Verwundungen an den Beinen. Hans Skau sind beide Beine abgerissen worden, seine Brust ist verletzt. Jens Christensen aus Lundgaardsmark ist verwundet. Johannes Hansen, Lintrup, schwer verwundet. Jørgen Lenger, Smedeby, verwundet. Asmus Jessen, Aarslev, verwundet. Es ist keiner mehr übrig, und Iskov, Laursen, Nørregaard, Karl Hansen – alle sind fort, und ich bin fast der Einzige, der noch übrig ist.
Das Trommelfeuer war fürchterlich. Sie wurden mit Granaten jeden Kalibers eingedeckt, auch mit den größten: 18 cm, 28 cm, 38 cm. Wenn ein Monstrum der letztgenannten Sorte detoniert, ist es, schreibt Andresen, «als begegne man einem Untier aus der Sage». Alles wird plötzlich still – und dunkel. Nach einigen Sekunden lichten sich dann Staub und Rauch, sodass man ein paar Meter weit sehen kann, und dann heult die nächste Granate heran. Einmal gerieten sie unter schwerem Beschuss in einem Laufgraben ohne Schutzraum. 57 Sie konnten nichts anderes tun, als sich an die Grabenwand zu pressen, den Kopf mit dem Stahlhelm auf die Knie zu beugen und den Tornister hochzuhalten, in einem hilflosen Versuch, Brustkorb und Unterleib zu schützen. In einem seiner letzten Briefe nach Hause schrieb er: «Am Anfang des Krieges war, trotz all dem Unheimlichen, doch eine gewisse Poesie dabei. Die ist jetzt verschwunden.»
Kresten Andresen steht nun in der vordersten Linie. Er hat nach den Vorteilen seiner Lage gesucht und glaubt, einen gefunden zu haben. Einem Dänen aus einer anderen Kompanie sagte er vor ein paar Tagen, dass sie ja leicht gefangen genommen werden könnten. Möglicherweise ist es das, worauf er hofft, als sich das feindliche Sturmfeuer erhebt und die britischen Soldaten der 55. Division ein paar hundert Meter entfernt aus ihren Stellungen klettern.
Der Angriff auf den Ort, den die englischen Soldaten «Gillymong» nennen, erinnert in seiner Unbeholfenheit an viele andere britische Angriffe an der Somme.
Ihre Artillerie schießt zwar ein so genanntes kriechendes Sturmfeuer. In der Theorie sollen die Fußsoldaten hinter einem Geschosshagel vorrücken, der die deutschen Verteidiger bis zum letzten Augenblick in ihren Schutzräumen hält. In der Praxis folgen die Artilleristen wie üblich ihren Zeittabellen, was bedeutet, dass das Feuer zu einem gegebenen Zeitpunkt eine bestimmte Anzahl von Metern nach vorn verschoben wird, unabhängig davon, ob die britischen Infanteristen nachgefolgt sind oder nicht. 58 Die Walze der Explosionen verschwindet also bald in der Ferne und lässt die Linien vorrückender Fußsoldaten hinter sich zurück, die nun geradewegs in das deutsche Sperrfeuer hineinrennen 59 – und sogar die eigenen Leute treffen; im Rauch und der Verwirrung stoßen zwei britische Bataillone aufeinander. Wer trotzdem vordrängt, gerät bald ins Kreuzfeuer deutscher Maschinengewehre, die in einem Hohlweg direkt vor dem Dorf versteckt sind.
Ein paar isolierte Gruppen erreichen die deutschen Stellungen am Rande des Dorfs, das einmal Guillemont gewesen ist. Dort bricht ein chaotischer Nahkampf los.
Um die Mittagszeit des 8. August lebt Kresten Andresen noch.
Am Nachmittag machen deutsche Einheiten einen Gegenangriff. Sie kennen das Gelände gut, und bald ist das verlorene Terrain mitsamt den Stellungen wieder eingenommen und die britischen Angreifer sind überwältigt. (10 Offiziere und 374 Soldaten werden gefangen genommen.) In einem Schützengraben finden sie einen Verwundeten aus Andresens Kompanie. Er hat sich, nachdem er getroffen wurde, in einem Schutzraum versteckt, weil er gehört hatte, dass die Briten Verwundete mit dem Bajonett töten. Dann aber hatte er gesehen, dass die Briten deutsche Gefangene zu ihren eigenen Linien zurückführten.
Als die 1. Kompanie gemustert wird, fehlen 29 Mann, die weder bei den Überlebenden noch unter den Toten zu finden sind. Kresten Andresen ist einer von ihnen.
Man wird nie wieder etwas von ihm hören.
Sein
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