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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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sonst würden einem solche grässlichen Anblicke den Verstand rauben; und die Hoffnungslosigkeit würde einem das Herz brechen.»
    Als sie später haltmachen und ihr Lager aufschlagen, sehen sie sich immer noch von Leichen umgeben. Nach weiteren Stunden hat der unerbittliche Prozess der Verwesung eingesetzt. In der Luft ist ihr widerlicher, süßlicher Geruch zu spüren und man hört das Surren fetter Fliegen. Die Männer der Einheit beachten die Körper nicht weiter oder tun so, als sei dies nur ein hygienisches Problem. Aber Florence und den anderen Krankenschwestern ist nicht wohl dabei. Gleich hinter ihrem Zelt liegt ein Gefallener, der halb von der aufgeworfenen Erde einer neben ihm explodierten Granate bedeckt ist. Sein Kopf ist deutlich zu sehen. Eine der Krankenschwestern geht hin und legt ein Tuch über sein Gesicht. Später fasst sich Florence ein Herz und holt ihre Kamera, um die vielen gefallenen Österreicher zu fotografieren. Sie macht aber nur zwei Fotos, dann überkommt sie ein Gefühl der Scham. Mit welchem Recht drängt sie sich ihnen auf? Und wie sehr hat sie sich einst gewünscht, einen Toten zu sehen! Wie hat sie vor gar nicht langer Zeit so neugierig auf den Tod sein können!
    Und der Tag geht weiter im Angesicht des Todes.
    Später, als sie auf Beschäftigung oder den Befehl zum Aufbruch warten, geht sie noch einmal auf Entdeckungstour. Sie wandert an einem Dorf vorbei, das vom russischen Artilleriefeuer in Schutt und Asche gelegt wurde («Gott helfe seinen Einwohnern!»), vorbei an einem stinkenden, noch nicht zugedeckten Massengrab, und erreicht dann den logischen Endpunkt des Ganzen, einen kleinen und tatsächlich recht schönen Soldatenfriedhof, der vielleicht schon seit ein paar Jahren existiert. Sie weiß seit einiger Zeit, dass sich die österreichisch-ungarische Armee viel Mühe gibt mit ihren Begräbnisorten und auch gefallene Feinde mit großem Respekt behandelt. Der kleine Platz ist sorgsam eingehegt. Der Weg hinein führt durch ein schön geschnitztes Portal, gekrönt von einem Holzkreuz und einer deutschen Inschrift: «Hier ruhen Helden, die für ihr Vaterland fielen.» Mit Helden sind hier Tote aller Nationalitäten gemeint; neben österreichisch-ungarischen Soldaten wurden hier auch Russen und Deutsche beerdigt. Einem gefallenen jüdischen Soldaten blieb es erspart, unter einem Kreuz zu ruhen; sein Grab ist stattdessen mit einem Davidsstern markiert.
    Beim Abendessen erreichen sie nur gute Nachrichten. Sie wissen zwar, dass es bei den Operationen im Norden Probleme gibt, haben aber mit eigenen Augen gesehen, dass die große Offensive hier im Süden vorangeht; zu ihrer Freude erfahren sie jetzt, dass ihre österreichisch-ungarischen Gegner nach dem neuerlichen Durchbruch so hektisch auf dem Rückzug sind, dass man den Kontakt zu ihnen verloren hat. Der Feind scheint vor dem totalen Zusammenbruch zu stehen. Die vielen Hoffnungen bekommen neue Nahrung. Ohne Österreich-Ungarn wird es Deutschland schwerfallen weiterzumachen, und die italienische Armee wird Spielraum gewinnen und ohne Gegenwehr ihre Invasion der Doppelmonarchie vollenden können.  61
    Florence erfährt auch von einer anderen kleinen Neuigkeit, die sie freut. Einer der Staaten, die in den Krieg hineingezogen wurden, ist Persien. Das war vor knapp einem Jahr, als sowohl britische als auch deutsche Truppen in das Land einmarschierten.  62 Seitdem wurde gekämpft. An diesem Abend lässt sich Florence erzählen, dass einer der Männer, die besonders viel für die Wiederherstellung der so genannten Ordnung in Persien geleistet haben, ein Brigadegeneral namens Sir Percy Sykes ist.  63 Als Britin kann Florence darüber nur Stolz empfinden.
    So endet der Tag trotz allem mit einem Lächeln. Die Sonne geht unter, und in die Zelte trägt der Nachtwind den immer strenger werdenden Geruch Tausender verwesender Helden.
***
    Am selben Tag steht Angus Buchanan an einem Wasserlauf, wo die Kolonne, der er angehört, in südwestlicher Richtung einem sich rasch zurückziehenden Feind nachjagt, der alle Brücken hinter sich niederreißt. Er schreibt:
     
Wir sind jetzt in das tief gelegene, unwirtliche Sumpfland gekommen, wo die Luft schwer und feucht und voller Insekten ist. Den Rest des Tages und an den beiden folgenden Tagen schwärmten wir wie eifrige Ameisen umher und bauten an einer großen Pfahlbrücke aus Holz, die den Fluss zwischen den hohen Ufern überspannte. Am Ende des dritten Tages wurde ich von einem Fieber gepackt, das

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