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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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Seine Sexualität. Seinen Hang zum Versorgertum. Wir haben nie darüber geredet, über Geld, über Sex, die Liebe war einfach da, und im Nachhinein macht alles Sinn. Vorher überhaupt nicht. Ich habe mal ein Zitat gelesen, ich glaube von Goethe, könnte aber auch von Yoda sein, and it goes a little something like this : Liebe und Verliebtheit ist nur der romantische philosophische Überbau, damit wir vor uns selber nicht zugeben müssen, dass wir einfach nur geil auf jemanden sind. Der hat das irgendwie besser ausgedrückt, ich finde das Zitat aber nirgendwo mehr. Vielleicht habe ich auch nur geträumt, dass ich das gelesen habe. Daran glaube ich jedenfalls ganz fest. Das ist die Erklärung für den ganzen Wahnsinn, der passiert zwischen erwachsenen Menschen.
    Mein Mann sieht überhaupt nicht gut aus. Also mit Aussehen hat Liebe schon mal überhaupt nichts zu tun. Fickt euch alle, mit eurem: Mein Traummann soll so und so aussehen, Sternzeichen, Größe, Haarfarbe, nein, so geht Liebe nicht. Das Erste, was ich an ihm gesehen habe und was mir direkt negativ, aber interessant machend auffiel, war sein kaputter Ellbogen. Das erste Mal sah ich ihn in einem kurzärmeligen Hemd. Kräftige weiße, behaarte Arme und ein ganz komisch rausstehender verkrüppelter Ellbogen, irgendeine Art Überbein steht da raus, vollkommen mit Narben überzogen. Das Phantom der Oper, nur am Ellbogen!
    Ich habe ihn direkt gefragt, woher das kommt. Das mache ich immer, als Fluchtreaktion, falls die Person schon bemerkt hat, dass ich starre. Das sei eine Verletzung aus der Kindheit. Er hatte sich mal den Arm gebrochen und musste immer alleine im Winter mit dem Bus zur Reha fahren. Und einmal war Glatteis, er stieg aus, mit eben verheiltem Bruch, und ist so auf den Ellbogen gestürzt, dass er mehrmals operiert werden musste, weil er sich alle Knochen darin vollständig zerschmettert hatte. Die haben den Ellbogen nie wieder rund gekriegt, und deswegen steht an einer Stelle, wie eine Haifischflosse, ein Knochen spitz raus. Das hat mich direkt sehr beeindruckt.
    Nach der Armangelegenheit bemerkte ich eine große Narbe am Wangenknochen. Ich habe ihn als Zweites gefragt, wo denn die Narbe herkommt. Und die kommt vom Krebs. Er hatte, kurz bevor wir uns kennenlernten, Hautkrebs. Nichts Schlimmes. Das heißt, er wurde bei ihm früh genug entdeckt, man konnte, ohne dass er streut, das ganze Melanom entfernen, und das war’s. Außer dass im Hinterstübchen immer präsent ist, dass der Tod schon mal angeklopft hat. Direkt beim ersten Gespräch mit ihm wusste ich, wir gehören zusammen, und ich wusste auch: Ich werde ihn beerdigen. Ich werde eine trauernde Krebswitwe sein. Er erklärte mir, dass er aus einer Krebsfamilie komme. Entweder war man in der Familie schon an Krebs gestorben, oder man hatte diverse Krebsformen im Körper besiegt, aber natürlich nur kurz Aufschub bekommen. Da wusste ich schon, wo der Hammer hängt, was ich mir da ins Haus hole, mit meiner großen Liebe, auch wenn mir das nur unterbewusst klar war.
    Oberirdisch dachte ich, wir würden eventuell zusammen arbeiten. Was für ein guter Galerist! Was für ein guter Mensch. Aber was für Einstiegsthemen? Das erste: Kindheitsverletzungen, das zweite: Familienkrebs. Das sagt doch schon alles über unsere Liebe. Und er fragte mich über den Autounfall in meiner Familie aus, bei dem meine drei Brüder starben. Der Tod spaziert von Anfang an neben unserer Liebe her. Wir haben auch von Anfang an beide einen Organspendeausweis besessen, Patientenverfügungen und Testamente geschrieben und unterschrieben. Das ist für uns Romantik pur.
    Georg setzt sich an den Laptop, der in der Küche steht, guckt bei Spiegel Online , ob sich in der Welt was verändert hat in den letzten Minuten, Liza nörgelt die ganze Zeit rum, ihr ist langweilig.
    »Was soll ich jetzt machen, Mama? Mir ist langweilig.«
    »Guck doch mal, was noch fehlt. Getränke vielleicht?«
    »Ja, was trinkt ihr?«
    Die gleiche Antwort wie jeden Tag von uns beiden wie aus einem Mund: »Leitungswasser.«
    Bei uns wird vor dem Kind aus Vorbildfunktion kein Alkohol getrunken, und alle Getränke mit Zucker sind bei uns verboten, zum einen aus ganz normaler Amerikafeindlichkeit und weil sie auch sehr ungesund sind. Warum Süßigkeiten trinken, wenn man Durst hat? Diese süßen Getränke machen den Durst nur noch schlimmer. Das ist doch wie eine Folter. Wie kann man Firmen Geld für Getränke geben, die durstig machen? Das ist doch, wie Jesus am

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