Schossgebete
begeistert. Das liegt nur an dem Geschmacksverstärker Glutamat beziehungsweise Hefeextrakt, klingt so schön harmlos. Wenn ich meine Familie an diesen Geschmacksstoff gewöhne, schmeckt denen nur noch das Verstärkte und die ganzen natürlichen Sachen nicht mehr. Deswegen will ich da nichts mit zu tun haben.
In die Pfanne schütte ich das besondere Biobrühepulver ohne Glutamat, hab ich im Internet gefunden, noch etwas Wasser, das durch Verdampfen das Gemüse garen soll, einen ganzen Becher Sahne drüber, ein Stück Butter, viel Salz, viel Pfeffer, Abendessen fertig.
Es klingelt an der Tür, ich mache Liza auf. Auf dem Weg zur Tür denke ich: Kochen hilft gegen Verrücktwerden. Gemüse hilft, nicht verrückt zu werden.
»Wie war’s in der Schule?«
»Gut.«
Wenn die reinkommt mit Teenagerjacke, Röhrenjeans und Stiefel, kann ich gar nicht glauben, wie groß sie ist. Das soll mein Kind sein? Toll. Ich habe es geschafft, sie ist aus dem Gröbsten raus, sagt man dazu. Ich habe es geschafft, dass sie noch lebt. Das ist in unserer Familie gar nicht so üblich. Einer meiner Brüder war mit sechs schon tot, der andere mit neun, der dritte mit vierundzwanzig, da muss ich meine Tochter erst noch hinkriegen! Aber ich habe schon mehr geschafft als meine Mutter. Mein Kind lebt noch. Also hundert Prozent meiner Kinder sind älter als sechs geworden. Sie hatte fünf, drei sind tot. Eins davon war jünger, als meine Tochter jetzt ist, also hat sie zwanzig Prozent ihrer Kinder vor dem achten Lebensjahr verloren.
Ich spüle die Sachen schnell weg, die ich für das Kochen dreckig gemacht habe. Der Zwiebelgeruch muss nicht ganz weggewischt werden, weil das Brett ja nur dafür benutzt wird. Wir sind so spießige Trickser zu Hause!
»Kannst du deine Jacke bitte nicht auf den Boden schmeißen, jedes Mal wenn du reinkommst?«
»Warum nicht?«
»Wo ist denn dein Diener, der dir alles aufhebt?«
Sie zeigt auf mich.
Wir müssen beide lachen. Sie hebt die Jacke auf und hängt sie an unsere handgeschnitzte Kindergarderobe, die mir nur bis zum Knie geht.
»Kannst du bitte den Tisch decken.«
»Oh, nee.«
»Sonst kriegst du nichts zu essen.«
»Okay.«
Sie stampft demonstrativ zur Arbeitsfläche, schwingt sich wie am Reck hoch, sie schiebt die Spitze vom Stiefel als Unterstützung in den Griff der Schublade und steht oben drauf.
Sie fragt: »Was gibt es denn?«
»Wirsing.« Ich hebe den Deckel der Pfanne an.
»Nur?«
Sie verdreht die Augen und lässt kurz die Zunge raushängen.
»Ja.«
Ich lache sie an. Es ist ein alter Trick von mir, eine große Portion von nur einem Gemüse zu machen. Sie kommt mit Hunger aus der Schule, und auch wenn sie sich noch so viel beschwert über das von mir ausgesuchte Gemüse, sie isst sich dann eben richtig satt daran, einfach weil es nichts anderes gibt. Das macht mich als Mutter sehr glücklich. Das Kind muss gesund ernährt werden. Da müssen viele Vitamine in den Bauch. Dafür mache ich alles. Weil ich mein Kind liebe.
Man denkt sich ja im Laufe der Jahre Sachen aus, wie das so laufen soll, wie man eine gute Mutter darstellt. Und wenn ich darstellen schreibe, meine ich auch: darstellen. Wie bin ich am besten, damit ich für mein Kind am besten bin? Ich möchte bodenständig sein, so viel zu Hause wie möglich. Damit sie einen möglichst langweiligen, immer wiederkehrenden Alltag hat, das, was ich als Kind nie hatte. Und darauf basierend in die Welt hinausziehen, weil es zu Hause so langweilig ist.
In meiner Kindheit war alles viel zu aufregend, ständig Umzüge, ständig wechselnde Väter, dass mir nichts anderes übrig blieb, als häuslich zu werden, gegen Reisen und Aufregung zu sein. Immer frisch kochen. Sehr selten Essen bestellen, höchstens viermal im Jahr, nie nie niemals, nur über meine Leiche zu McDonald’s.
Bei uns wird immer am Esstisch gegessen, mit allen, die anwesend sind. Keiner darf während des Essens ans Telefon gehen, lesen oder singen. Ich weiß nicht, warum, aber dieses Singen scheint ein großes Problem zu sein, meine Tochter und auch mein Stiefsohn wollen immerzu singen bei Tisch. Das ist strengstens untersagt, weil sonst kein Essen in den Mund reingeht. Das sind jetzt eher die unwichtigeren Sachen, mit denen ich meinem Kind eine gute Mutter vorspiele. Davor auf der Liste steht: Ich signalisiere ihm zu jeder Sekunde des Tages durch mein Verhalten, dass es ein Wunschkind ist und ein Kind der Liebe. Das stimmt auch. Ich zeige ihr, dass ich es gut finde, dass sie
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