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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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dicken Bauch haben. Für mich wären Dicke kein Problem. Und er mag keine operierten Frauen. Das versucht er bei dem kurzen Kennenlerngespräch mit geschultem Blick auszuschließen. Neben den richtigen Körpern versucht er freundliche und lustige Prostituierte auszuwählen.
    Ab hier fängt es an, interessant zu werden. Er muss jemanden aussuchen, den seine Frau sympathisch findet. Erst mal darf sie keine riesigen Brüste haben, weil er ja genau weiß, dass seine Frau einen großen Brustkomplex hat. Bis wir uns kennengelernt haben, hatte ich nie über meine Brustgröße nachgedacht. Dachte, alles an mir ist normal über gut bis schön. Dieser Mann war der Erste, bei dem ich Angst hatte, ihn zu verlieren. Ich habe mich ständig in die unmöglichsten Situationen reingesteigert. Wenn er abends nicht da war, habe ich versucht, mehr über seine Vergangenheit rauszufinden. Ich habe mir erst Mut angetrunken und dann schielend vor zu viel Alkohol seine alten Fotokisten durchwühlt und viele Fotos von alten Freundinnen gefunden. Die gingen zurück bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr. Er ist heute fünfzig. Fast so alt wie mein Vater.
    Meine Eltern haben sich getrennt, als ich fünf war. Leider hatte mein Vater auch schnell wieder eine neue Frau. Eine schlechte neue Frau, jedenfalls für uns Kinder. Sie versaute jede Minute, die wir mit unserem geliebten Vater hatten. Ich habe meinen Vater immer so vermisst, selbst wenn ich bei ihm war. Er bedeutete Schutz, männliche Geborgenheit, alles in einem. Ich habe ihn so geliebt, mit seinem roten Sportauto, das meine Mutter immer schlechtreden wollte. Ich liebte ihn, sein Auto, dass er reich war, klug, männlich, in Herrensocken, Sandalen und kurzer Hose, am Rücken behaart. Das ist mein Schönheitsideal bei Männern. Mit Krampfadern, Besenreisern, Blutschwämmchen am Rumpf. Habe ich alles recherchiert, wie die Dinge, auf die ich stehe, heißen. Nicht bei Google, sondern bei Ecosia, für die Umwelt.
    Meine Therapeutin bescheinigt mir einen fetten Vaterkomplex. Davon haben bis jetzt auch schon viele alte Männer profitiert. Mein Vater hat durch seine Abwesenheit in meiner Kindheit dafür gesorgt, dass die alten Männer durch meinen Körper immer Nachschub an Frischfleisch bekommen. Ich interessiere mich kein bisschen für Jüngere oder Gleichalte. Nur Alte, Alte, Alte. Je älter, desto besser. Da fühle ich mich geborgen und begehrt. Und all die alten Männer sind meinem Vater dankbar. Beide Seiten haben auch viel davon. Sehr viel! Mein Mann sagt jedes Mal, wenn ich zur Therapie fahre: »Ihr könnt gerne alles bearbeiten da, aber richte deiner Therapeutin aus, bitte nicht den Vaterkomplex wegmachen. Sonst verlässt du mich nachher noch!«
    Der running gag unserer Beziehung. Er hat recht. Sobald ich meinen Vaterkomplex nicht mehr habe, brauche ich meinen Mann nicht mehr. Der Komplex soll mich also gerne in den Tod begleiten. Ich will ihn mit ins Grab nehmen. Sagt man ja so, auch wenn ich niemals ein Grab haben werde. Ich werde ganz sicher nicht auf einem christlichen Friedhof in der Erde liegen. Nur über meine Leiche. In mein Testament habe ich geschrieben, dass derjenige, der es umsetzen muss, dafür sorgen soll, dass ich erstens verbrannt werde und dass zweitens meine Asche ganz normal am Abholtag der Müllabfuhr, also im Moment mittwochs, in den Hausmüll, schwarze Tonne, geworfen wird. Auf gar keinen Fall mach ich diesen ganzen Hype um die Grabpflege mit, ablaufende Mietzeiten, Leichenwasser im Grundwasser und alles.
    Es gibt viele Sachen, die ich vollkommen verändert habe, seit ich mit meinem neuen Mann zusammen bin. Ich stelle mich, meinen Geist, meinen Körper, alles, infrage. Weiß nicht, ob das jetzt an meinem Mann liegt oder nicht, vielleicht vielmehr an dem Unfall in unserer Familie und der dazugehörigen Therapie.
    Ich mache mich regelmäßig fertig, meine Therapeutin versucht mir das abzutrainieren. Beim Durchwühlen seiner privaten Fotokisten zum Beispiel habe ich mich selbst mit der niederschmetternden Erkenntnis gequält, dass Georg wohl eher auf große Brüste steht. Ständig habe ich ihm das vorgeworfen, ihn zur Rede gestellt. Ich kann nicht einmal in diesem Wahnzustand meine Fresse halten. Er solle es endlich zugeben. Ich wüsste es längst! Egal, was er sagte, um mich aufzubauen, ich glaubte ihm nicht.
    Das gehört zu den vielen Tretminen unserer Beziehung, die ich in der Erde unter uns verbuddelt habe und jetzt nicht mehr rauskriege. Ich kann das kaum jemals

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