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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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ist. Anonym am Computer ist nicht. Also Augen auf und durch.
    Ich drehe den Laptop so zu mir, dass Georg den Bildschirm nicht sehen kann. Klicke bei Safari auf »Privates Surfen«. Und gebe bei Wikipedia »Würmer bei Kindern« ein. Nur so ein Verdacht. Lese den ganzen informativen Eintrag bis zu dem Punkt, wo der Schnelltest beschrieben ist: Man soll mit der Klebeseite vom Tesafilm einmal auf das Poloch titschen und gucken, ob kleine weiße, dünne, sehr agile Würmer kleben geblieben sind. O Gott, wie im Horrorfilm, mach, dass das nicht wahr ist. Ich gehe zurück auf die Puffseite, klicke das »Private Surfen« wieder weg, lege den Laptop auf die Couch und springe auf. In der Küche haben wir eine eigene Schublade für Tesafilm, Paketklebeband und Kleber. Ich schnappe mir eine Rolle, aber eigentlich kenne ich schon das Ergebnis des Tests, bei dem Jucken, das kann doch nichts anderes sein. Ich schließe mich auf dem Gästeklo ein. Wir haben da drin alle hässlichen Achtzigerjahrefliesen in Maisgelb überstrichen, was sehr schön aussieht. Gerade die überstrichenen Fugen mag ich. Wie unsere Beziehung wird dieses Zimmer immer genauso bleiben; wie alles, was wir für unsere Wohnung gemacht haben, bleibt auch das einfach genauso. Frau Drescher sagt zwar, dass eine Beziehung, eine Liebe, immer mitwachsen muss, sonst reißt sie. Mag ja sein, dann mach ich das eben für die Beziehung, aber auf keinen Fall wird was in der Wohnung geändert.
    Seit dem Unfall bin ich strikt gegen räumliche Veränderungen. Menschen machen das, weil ihnen so schnell langweilig wird, deswegen gucken sie auch gerne Krimis, ich fühle mich aber durch das, was passiert ist in unserer Familie, alt und aufgewühlt und brauche Ruhe und keine Veränderung. Außer vielleicht mal Sex mit jemand anderem. Aber sonst kann alles so bleiben, wie es ist. Die Wohnung und die Beziehung sind für die Ewigkeit angelegt, auf jeden Fall lebenslänglich.
    Ich setze mich aufs Klo und pinkele erst mal. Ich pinkele, schon seit ich bewusst pinkele, extra laut. Ich mag keine Frauen, die extra leise pinkeln. Ich habe als Jugendliche mal ein Buch gelesen, da beschrieb ein Mann, wie er seine Angebetete beim Pinkeln belauscht und wie ihn das erregt, wie laut sie dabei gezischt und geplätschert hat. Könnte ja sein, dass es bei meinem Mann genauso ist. Würde ich aber nie mit ihm drüber sprechen, dann wäre das ja kaputt. Pinkeln, so laut es geht, kacken, so leise es geht. Wasser laufen lassen, damit er nichts hört. Und immer lüften, damit er nichts riecht. Das heißt aber auch, dass ich nie wirklich hier wohne. Ich denke immer darüber nach, wie ich ihm gefallen könnte. Ich will doch für immer mit ihm zusammenbleiben. Das heißt, es gibt eigentlich nie eine häusliche Entspannung, weil das ja direkt hässlichstes Sichgehenlassen wäre.
    Ich bin mit dem lauten Pinkeln schnell fertig, weil ich ja gar nicht wirklich musste, und tupfe mich ordentlich ab. Früher habe ich mir an den Schamlippen regelmäßig wehgetan, weil ich zu feste gewischt habe. Das mache ich heute nicht mehr, habe in der Therapie teilweise gelernt, netter zu mir zu sein, auch zu meinen inneren Schamlippen. Aber nicht auf jedem Gebiet, leider.
    Nach dem freundlichen Abtupfen kommt der Klebestreifentest. Ich wickele mir den Film dreimal um den Finger mit der klebenden Seite nach außen, halte mit den Schneidezähnen fest, beiße am Rand etwas ein und reiße das Tesaband mit den Fingern durch. Diese Bewegung habe ich von meiner Mutter gelernt, das habe ich sie als Kind so oft machen sehen. Sie hat viel mit dem Mund gemacht. Das hat mich als Kind schwer beeindruckt. Ich habe sie auch sehr oft mit einem großen Mund voll mit Reißzwecken gesehen, mit einem Mund voller Nägel auf einer Leiter, da habe ich gedacht, so werde ich auch. Und: hat geklappt. Ich bin leider sehr wie meine Mutter geworden. Es ist schrecklich, wie meine Mutter zu sein. Sie ist eine sehr unglückliche, aggressive Frau. Ich jetzt auch. Schlechte Gene und schlechtes Vorbild.
    Als ich meiner ganzen Familie erzählen musste, dass ich weder meinen Vater noch meine Mutter jemals wiedersehen will, waren alle sehr empört. Normal! Vor allem die Familie mütterlicherseits hielt mir Vorträge, ich solle das doch noch mal überdenken. Ich sagte ihnen, dass ich das vorher schon oft überdacht hätte und immer zum gleichen Schluss käme: Mein Leben ist ohne meine Eltern besser als mit. Sie gehören für ihren Lebenswandel bestraft, für immer. Die

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