Schossgebete
ekeln. Sie soll frei sein. Freier als ich. Kein Mensch spricht je darüber: über die Kunst, sich ordentlich den Po abzuwischen. Mir hat das keiner beigebracht. Meine Mutter Elli jedenfalls nicht. Wir heißen alle Elizabeth in der Familie, alle Frauen jedenfalls, das einzige Geschlecht, das zählt in unserer Familie, leider. Alle haben versucht, einen leichten Anflug von Individualität in die Namen zu bringen. Wenn wir schon alle gleich heißen, hat wenigstens jede einen eigenen Spitznamen. Elli jedenfalls ist da viel zu verklemmt gewesen. Sie hat uns Kindern immer erzählt, dass sie niemals kackt und auch nie furzt. Das hat mich als Kind schwer beeindruckt, ich kam mir gleichzeitig aber so ekelhaft vor, weil ich selbst es nicht stoppen konnte. Sie hat uns erzählt, dass es bei ihr ätherisch verdampft, durch die Haut sozusagen. Das hatte sie wiederum von ihrer Mutter, Liz, unserer geistesgestörten Oma aus Camden. Die bis heute so tut, als wäre sie die eigentliche Königin von England. Da passt der Name Elizabeth perfekt. Die hat auch noch nie gekackt und gefurzt. Wie schön für sie. Also von denen kann man in normal menschlichen Dingen schon mal keine Hilfe erwarten. Das muss man sich alles selber beibringen.
Man kann auch sonst niemanden mit so fiesen Themen belästigen. Da heißt es, selber kreativ werden und raten, wie es wohl die anderen alle machen. Früher habe ich einfach nur einmal gewischt, egal, ob es geklebt hat oder nicht, und die Unterhose hochgezogen. Ich habe mir einfach nicht genug Gedanken gemacht. Heute läuft das so: Ich wische einmal, zweimal, gucke mir genau an, wie das Papier danach aussieht. Meistens ist noch was dran. Dann wische ich so lang, bis auf dem Papier nicht eine Spur zu erkennen ist. Tut mir leid, Greenpeace, ich verbrauche dabei viele Blätter Papier. Aber wenigstens Danke-blauer-Engel -Papier! Da geht es schon wieder um Verzicht. Alles, was gut ist für die Umwelt, bedeutet: Verzicht. Früher, als mir die Umwelt noch egal war, habe ich das dickste, weichste, weißeste Papier benutzt, das ich finden konnte, am besten noch mit hellblauer Farbe drin. Engländerin halt. Habe ich abgestellt, wird nie wieder aktiviert!
Wenn also mit bloßem Auge keine Spur mehr zu erkennen ist, kommen noch zwei Spuckerunden, um ganz sicher zu sein. Weil feuchte Tücher aus gesundheitlichen und umwelttechnischen Gründen nicht infrage kommen. Sie bauen sich, wenn überhaupt, biologisch viel langsamer ab als normales Papier und sind so mit Chemie vollgepumpt, dass man das doch nicht in die Nähe seines Körperzentrums lassen will. Also lieber nicht. Kommen meistens von den schlimmsten Firmen sowieso. Ich spucke auf ein paar zusammengeknüllte Tücher und reibe mit der Spucke noch mal richtig sauber. Das wiederhole ich zur Sicherheit noch einmal. Dadurch entstehen diese hässlichen kleinen feuchten Papierröllchen, die sich durch Reibung ablösen. Und die wasche ich mit der Hand und Wasser aus dem Waschbecken wieder ab. Ich nehme das Handtuch und tupfe liebevoll das Wasser weg, und fertig. Picobello. Selber ausgedacht und beigebracht. Hab noch nie mit jemandem drüber gesprochen. Bescheuerte Welt. Alles muss man sich selber ausdenken.
Das mit der Kinderzimmertür hätte ich auch vorher sehen können. Das ist eine mir bekannte Angst, und es gehört eigentlich zum Zu-Bett-geh-Ritual, dass ich die Tür schließe. Vergesse ich eigentlich nie. Liza hat in ihrem Zimmer zwei Türen, und die eine zu unserem Zimmer muss geschlossen sein, sonst hat sie Angst, dass da jemand oder etwas durchkommt. Sie schläft auf dem Boden, ihr Zimmer ist ein stilisiertes Meer, mit Piratenschiff drauf. Eigentlich könnte sie in dem Piratenschiff schlafen, will sie aber nicht, wollte sie noch nie. Sie schläft immer auf dem blau gestrichenen Dielenboden, der das Meerwasser darstellen soll, auf einer Luftmatratze. Wenn man neben ihr liegt, muss man auch auf einer Luftmatratze liegen, weil man ja sonst im Meer untergeht. Und seit ich mich abends immer dazulegen muss, hat man schon ein komisches Gefühl von Ausgeliefertsein, wenn man da so schutzlos auf dem Boden liegt. Vom Boden aus betrachtet, wirkt die Tür riesig und hoch und bedrohlich, vor allem wenn sie einen Spaltbreit offen ist.
Ich habe mir oft Sorgen gemacht über all die wechselnden Kinderängste, die Liza hat. Sie hat Angst, dass Schlangen in der Wohnung wohnen, giftige oder würgende. Sie hat Angst, dass ein Tiger bei uns im Garten lebt und durch die Scheibe in ihr
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