Schossgebete
unser Baby. Er dachte aber wohl, wenn er den Satz sagt, ist er nicht mehr in der Lage, die Abtreibung durchzuziehen. Er wollte sein Kind nicht noch mehr verraten, er hatte ja die Mutter seines Kindes schon verlassen. Das haben wir in der Paartherapie gelernt: Man verlässt als guter Vater nicht das Kind, sondern nur die Mutter des Kindes, ganz wichtig! Ihm gab es eindeutig zu viel Durcheinander in der neuen schlimmen Patchworkfamilie.
Er weigerte sich jedenfalls, diesen Satz auszusprechen. Er sagte nichts Nettes, immer nur wieder den Satz, das muss weg, das passt grad nicht. Vielleicht dachte er auch, es wäre eine Falle: Wenn er das aussprechen würde, würde irgendwas passieren, würde ich ihn für irgendwas verhaften. Auch wenn ich litt wie ein Hund, ich dachte irgendwann, so sehr, wie er es nicht will, so sehr will ich das Kind aber auch umgekehrt nicht haben. Also gewann er diese Auseinandersetzung. Als ich mich bereit erklärte, war er schon wieder viel netter zu mir, weil er nicht mehr diese Front aufbauen musste. Die schwierige Entscheidung war gefallen, jetzt musste sie nur noch umgesetzt werden. Da waren wir wieder ein Team, das war viel besser.
Ich erinnere mich sehr gerne daran zurück, an die Abtreibungsklinik, so einfühlsame und vorsichtige Arzthelferinnen habe ich seitdem nie wieder getroffen. Man wurde dort so in Watte gepackt, dass ich dachte, hier würde ich gerne öfters sein. Ich fühlte mich wie auf Glücksdrogen. Vielleicht wollte ich tief in mir drin das Kind auch nicht und war nur von Georgs absoluter Ablehnung geschockt. Ich habe das persönlich genommen. Und bin bis heute neidisch oder eifersüchtig auf seine Exfrau, warum er sich hat breitschlagen lassen, mit ihr ein Kind zu kriegen und mit mir nicht.
Einmal, Jahre danach, erzählte er mir, dass er auch nicht der Meinung gewesen sei, dass ich psychisch stabil genug war oder es immer noch nicht bin, um überhaupt ein Kind zu haben. Und erst recht kein zweites. Na danke! Nach der Abtreibung des Produkts unserer Liebe hat der Abtreibungsarzt, der sehr gut und nett war, uns gesagt, wir dürften wegen der Entzündungsgefahr erst mal keinen vaginalen Sex haben. Aha, dachten wir beide und guckten uns an, aber nur keinen vaginalen! Weil er so dankbar war, dass ich abgetrieben hatte, also mein Mann jetzt, nicht der Arzt, waren wir uns so nah, dass wir sofort miteinander schlafen wollten. Wir hatten den besten Analverkehr, nein, eigentlich den besten Sex aller Zeiten überhaupt in unserem Leben, auf dem Grab unseres ungeborenen Kindes. Gleich als wir nach Hause kamen.
Der Weg, nur ein paar Hundert Meter, musste noch zu Fuß geschafft werden. Ich wurde von meinem Mann auf wackeligen Beinen gestützt, das Bild werde ich nie vergessen und das schöne, extrem seltene Gefühl, gestützt zu werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Und als wir dann zu Hause ankamen, sind wir wie die Tiere übereinander hergefallen, für Sex braucht man ja die wackeligen Beine nicht unbedingt. Alle Konflikte zwischen uns waren vergessen, und ich glaube, es tat nicht so sehr weh, weil die Betäubung noch wirkte.
Das alles ist in unsere Beziehung eingebettet. Unglaublich, dass wir überhaupt noch Sex haben können. Dass wir noch zusammen sind. Was so ein olles Paar alles aushält. Toll!
Wo bleibt der eigentlich? Wo ist Georg? Ach ja, Rudern. Ohne Wasser. Ich habe solche Liebesgefühle für ihn, wenn mir das alles wieder einfällt. Der hat das verdient, dass ich morgen mit ihm in den Puff gehe. Ich möchte, dass er ein schönes Leben hat. Ich will ihm dabei helfen. Mit so wenigen moralischen Einschränkungen wie möglich!
Georg kommt zurück, mit seiner schönen strahlenden Sporthaut im Gesicht. Ich kann endlich wieder aufhören zu grübeln. In der Zwischenzeit sind auch das Videotaxi und der Inder da gewesen. Ich habe beide aus Georgs Brieftasche bezahlt, die immer extra für solche Zwecke neben der Wohnungstür liegt, neben dem Schlüsselbrett.
Wenn Liza nicht da ist, benehmen wir uns wie die Flodders. Alles wird in den Aluminiumbehältern auf dem Couchtisch verteilt. Georg holt unsere Currymatte hinter der Couch hervor. Das ist ein großes Stück alter Teppich, den legen wir immer auf den Boden, zwischen Couch und Tisch, der fängt alles auf, was wir schlabbern, und dann rollen wir den mit den ganzen Flecken ein und stopfen ihn wieder dahinter. Wir machen den Film an und essen. Das Essen ist mir zu scharf, das schlägt irgendwie auf mein Zwerchfell, plötzlich habe ich
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