Schossgebete
Schluckauf. Georg verdreht die Augen. Er hasst aus irgendeinem Grund, wenn ich laut Schluckauf habe. Egal.
Mit vollem Mund sagt er: »Oje, der Film scheint über alte Ehen zu sein.«
Ich antworte mit noch vollerem Mund: »Ja, und? Hast du was gegen alte Ehen?«
Wir gucken weiter. Es geht auch um Fremdgehen. Get the message! Ich muss ihm das aber trotzdem selbst klarmachen, über einen Film wird das wohl nicht klappen. Georg, siehst du nicht, der Mann in dem Film liebt seine Frau über alles und geht trotzdem fremd. Das kann es geben. Nebenlieben! Eine große Liebe hält das aus. Ja. Ja.
Das Essen macht wahnsinnig satt, und wir essen zu schnell, es kommt schnell weg, wie eine vollgewichste Zeitschrift, danach will man nichts mehr damit zu tun haben. Ich drücke die Pause-Taste, damit Georg die Aluminiumbehälter wegschmeißen kann. Das Standbild des Films zeigt die Schauspielerin Helen Mirren. Sie hat sich grad ausgezogen und steht dort mit ihren schönen großen Brüsten, in einem hautfarbenen BH . Ich glotze die ganze Zeit das Standbild an.
Als Georg zurückkommt, drücke ich schnell die Play -Taste.
»Endlich sind die Brüste weg. Das macht mich echt fertig.«
Georg verdreht die Augen, drückt die Pause-Taste. Immer noch Brust-Standbild.
»Sehr gut, dass du das auch mal wieder ansprichst. Was genau soll das noch mal, dieses Thema mit den Brüsten?«
»Was meinst du?«
»Ja, willst du denn große Brüste haben, damit jeder Mann dich geil findet? Reicht das nicht, dass ich dich geil finde? Warum hast du so eine Angst davor, dass du bei manchen Arschlochmännern durchs Raster fällst?«
»Nein, es geht doch nicht darum, dass mich jeder geil finden soll, aber hübsch wär ganz gut. Und ich habe von klein auf gelernt, dass man nicht hübsch gefunden wird, wenn man nicht eine gewisse Oberweite hat. Ich fühle mich nicht gewollt, nicht geliebt, nicht hübsch, wertlos, ich dreh darüber durch! Ich kann es nicht erklären. Es ist einfach so.«
»Dann operier dich doch, wenn das so wichtig für dich ist. Und tritt direkt auch in die Kirche ein, dann hast du beide Fliegen mit einer Klappe geschlagen.«
»Nur über meine Leiche nehme ich den Weg des geringsten Widerstands! Wenn man doch so geliebt werden will, wie man ist, muss man auch so bleiben, wie man ist. Wenn man sich seinem Komplex nach ändert oder der Mode nach, weiß man ja nachher nicht, ob man auch ohne OP geliebt worden wäre.«
»Ich kann es nicht mehr hören.«
»Ich arbeite dran. Oh, Mann, mach den Film wieder an.«
Habe kurz den Impuls, dass ich mal nach Liza gucken muss. Aber sie ist ja gar nicht da. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass sie weg ist, dass sie immer hin und her muss, zwischen uns getrennten Eltern. Nehme mir jedes Mal vor, wenn sie weg ist, und das ist immerhin jede Woche, netter zu sein, wenn sie wieder da ist. Klappt aber oft nicht. Die Nerven. Die Nerven. Sie kann Knöpfe drücken, die einen in den Wahnsinn treiben.
In den wenigen Ferien, die wir gemeinsam mit Liza verbringen, versuche ich so wenig wie möglich zu reisen, mit Kindern bekomme ich regelmäßig Nervenzusammenbrüche. Wie man das eben so kriegt in unserer Familie. Meine Oma hatte sie, meine Mutter mit uns und ich jetzt auch mit Stiefsohn und Tochter. Ich falle jedes Mal wieder auf das Wort Ferien rein. Wenn man mit Kindern in den Urlaub fährt, hat man de facto keine Ferien, sondern den totalen Terror.
Das Leben ist zu Hause, wenn die Kinder in der Schule sind, viel einfacher. Wenn man sie dann aber den ganzen Tag bespaßen muss, damit ihnen nicht langweilig wird, und denen wird vielleicht mal schnell langweilig, dann kriegt man eben einen Nervenzusammenbruch. Der äußert sich bei mir so, dass ich unkontrolliert in der Gegend rumschreie. Sie mit kleinen geschlitzten Wutaugen beobachte und immer nur folgenden Satz denke: Ihr ruiniert mein Leben, ich halte es mit euch nicht aus, ihr geht mir auf den Sack.
Also wirklich schrecklich, Urlaub mit Kindern. Aber wie immer bei der ganzen Motzerei meinerseits: Ohne Kinder ist der Urlaub auch schrecklich. Wenn ich nichts zu kümmern habe, denke ich direkt, ich bin egoistisch, ich habe keine Aufgabe, da kann man sich auch direkt umbringen, wenn man kein Kind hat, denke ich dann alleine mit meinem Mann im Urlaub. Ich bin eben einfach eine unglückliche Frau.
Der Film ist zu Ende, überaschenderweise laufen mir Tränen aus den Augen. Das Ende hat mich sehr traurig gemacht. Ich hasse Weinen. Ich habe Angst vorm Weinen.
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