Schossgebete
Leben, ohne Kind, auch.
Nur weil Frau Drescher das wichtig findet, lehne ich mich wieder auf der Couch zurück und atme noch mal tief durch. Oben in der Ecke an unserem Stuckspiegel sehe ich die ganzen schönen Spinnweben. Manchmal habe ich sie nicht mehr alle. Ich bin nämlich schuld, dass die da sind, weil ich unserer Putzfrau gesagt habe, sie dürfe auf keinen Fall Spinnweben in unserer Wohnung wegsaugen. Das fand die zwar sehr merkwürdig, hält sich aber dran.
Dieser Gedanke kam mir, weil die Kinder doch in der Schule lernen, dass eine Spinne ein Nutztier ist, dass sie uns Menschen nützt. Uns tut sie nichts, aber sie frisst die Mücken, die uns nerven, und die Ameisen und alles, was uns stört. Aber keiner will Spinnen in der Wohnung haben. Wir haben jetzt dank meiner guten Idee ein intaktes Biosystem, in fast jeder Ecke hängt jetzt ein Spinnennetz, und die Spinnen leben mit uns zusammen und helfen uns, die Mücken zu beseitigen, und ich habe das Gefühl, dass ich nicht zu den bösen Menschen, sondern zu den guten gehöre, weil ich wie ein Indianer versuche, im Einklang mit der Natur zu leben. Das geht wunderbar. Kann ich jedem nur empfehlen.
Ich muss mir die Welt in Gut und Böse einteilen, weil ich sonst unfähig werde, politisch zu sein. Wenn man alle Fürs und Widers und Ausnahmen von der Regel beachtet, ist man nachher so verwirrt, dass man gar nichts mehr macht. Gegen nichts. Wenn man aber die Menschen einteilt in gute und böse, Firmen in gute und böse, dann kann man auch was unternehmen. Man muss sich entscheiden, wogegen man ist. Was man gut findet. Und dann: Ran an die Buletten. Kämpfen gegen alles, was schlecht ist. Erst mal lernen, zu verzichten auf böse Sachen, dann den anderen erklären, dass sie mitmachen müssen. Wie in dem Lied von Michael Jackson, »Man In The Mirror«: And if you wanna make the world a better place take a look at yourself and make a – change ! Bei sich anfangen. Das ist am Anfang sehr schwer. Aber wenn man das einmal geschafft hat, zu entsagen, und daran gewöhnt man sich schnell, dann ist man in einem Heiligkeitsrausch. Ich, Umweltnonne.
Der Unfall hat wirklich komplett meine Persönlichkeit geändert. So war ich doch früher nicht. Das macht einen einsam und schwach. Und Stefan war nach dem Unfall auch viel zu schwach, um mir zu helfen. Ich habe mich in genau dem Moment in Georg verliebt, als er auf meine Frage: »Wie sieht eigentlich für Sie so ein normaler Tag aus?«, Folgendes antwortete: »Ich gehe zur Arbeit und arbeite erst mal alle unangenehmen Dinge ab, die ich am Tag vorher auf einer Liste festgehalten habe.«
Geigen, rosa Himmel, das war der Mann für mich. Er ist ein Anpacker! Genau das, was ich brauche. Für all meine Probleme und mit all den Katastrophen, die noch kommen sollten. Mord und Totschlag, einstürzende Hochhäuser. Genau der Richtige.
Gleich als ich mit meinem Mann zusammenkam, war ich auch schwanger von ihm. Habe es natürlich, verliebt, wie ich war, auf seine starken Spermien geschoben. Es muss doch an den starken Spermien gelegen haben, durch die Antibabypille durch. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich aber auch so viel Schnaps getrunken, dass ich mich andauernd übergeben musste. Schlecht, um die Pille drin zu behalten. Jedenfalls waren wir sofort schwanger. Er wollte unbedingt, dass ich abtreibe. Ich dachte erst: aber warum? Wir lieben uns, wir haben Geld und Zeit. Er nannte die ungeklärten Verhältnisse als Grund für seine strikte Ablehnung des Kindes. Er war da sehr sachlich, mir viel zu sachlich. Es war doch ein Kind der Liebe! Ich komme von Hippie-Eltern, da hat man so einen Scheiß in sich. Wir stritten uns nur noch. Grad frisch verliebt und dann solche Entscheidungen treffen.
Er wollte seinen ersten Sohn nicht verlieren, davor hatte er große Angst in der Anfangsphase, er dachte, er betrügt sein babykleines Kind, wenn da sofort ein neues hinterherkommt. Schon sehr früh in der Diskussion merkte ich, dass ich ihn weniger zu einem Kind zwingen wollte als er mich zur Abtreibung. Eine Abtreibung ist erst mal kurz und schmerzlos, ein Kind ist eine halbe Ewigkeit da. Ich wollte jeden Tag heulend nur ein einziges Mal den Satz hören: dass es ihm leidtue um unser Baby, dass es einfach nur schlechtes Timing war und dass er bestimmt bald mit mir zusammen ein Kind kriegen wollen würde. Aber er hat sich geweigert, mir das zu sagen. Ich flehte ihn an, ich bettelte, ich erniedrigte mich für den einen Satz, dass es ihm leidtue um
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