Schottische Disteln
Puppe und rief: »Nein, wie wunderschön, woher haben Sie die?«
»Vom Trödelmarkt.«
»Die muss ja ein Vermögen gekostet haben. Diese alten Puppen wurden früher aus Frankreich eingeführt, die konnten sich nur die ganz reichen Leute leisten.«
Andrea nickte. »Das habe ich mir auch gedacht, in Hamburg sieht man ähnliche Puppen ganz selten mal bei einer Versteigerung, aber sie sind kaum zu bezahlen. Ich habe sie geschenkt bekommen.«
»Geschenkt? Was für ein Glück Sie hatten. Von wem denn, wer hat so etwas auf dem Trödelmarkt anzubieten?«
»Ein Schäfer. Er hatte ziemlich gute Sachen auf seinem Tisch, aber für die Leute waren sie zu teuer, er hat überhaupt nichts verkauft.«
»Aber woher hat denn ein Schäfer so teure Sachen? Hoffentlich hat er sie nicht irgendwo gestohlen.«
»Das glaube ich nicht, wie ein Dieb sah er eigentlich nicht aus. Und wenn er etwas gestohlen hätte, würde er es kaum auf einem öffentlichen Markt anbieten. Aber komisch ist das schon.«
Kopfschüttelnd und durchaus nicht überzeugt suchte die Wirtin die nassen Kleidungsstücke zusammen. »Ist die Jacke auch von dem Schäfer?«
»Ja, er hat sie mir geliehen.«
»Man riecht es. Ich werde sie trocknen und aufbügeln. Ein feines Stöffchen, dieser Tweed, ich würde sagen, einer von der besten Sorte. Ist etwas in den Taschen?«
Andrea sah nach. »Nein, die sind leer.«
»Ich möchte nicht, dass etwas verloren geht. Aber sehen Sie mal«, sie zeigte auf das eingenähte Etikett, »das ist McGregor-Tweed, der beste, den es gibt.«
»Vielleicht hat er sie geschenkt bekommen oder in einer Altkleidersammlung gefunden. Ich glaube nicht, dass er stiehlt und dann die Sachen öffentlich trägt. Aber wenn es Sie beruhigt, kann ich ihn ja fragen.«
»Ach nein, das wäre mir peinlich, so wichtig ist das ja auch nicht.«
Noch immer mit dem Kopf schüttelnd ging die Wirtin nach unten. Andrea wusste genau, dass die Gäste in der Wirtsstube für die nächste Stunde ein interessantes Gesprächsthema hatten. Aber es war ihr egal. Sie schlürfte ihren heißen Tee und besah sich die Puppe genauer. Vorsichtig streifte sie das vergilbte, mit Spitzen besetzte Kleidchen hoch. Auf dem Porzellanrücken der kleinen Figur waren Initialen, ein Wappen und eine Zahl eingestanzt. Aber sie verstand nichts von diesen Dingen und von dem Wert einer alten Puppe schon gar nicht, und eigentlich war das auch gleichgültig. Sie hatte ein hübsches Geschenk und eine Erinnerung an einen seltsamen Tag und an einen Mann, der ihr nicht aus dem Kopf ging. Viel deutlicher als die Puppe sah sie dieses Büschel graublonder Brusthaare vor sich, mit dem sie so gern gespielt hätte. Sie schüttelte den Kopf, trank den Tee aus und ging hinüber ins Bad, höchste Zeit, endlich in heißes Wasser zu tauchen, einerseits der Gesundheit und andererseits der Gedanken wegen.
Ryan pfiff noch, als er in der Nähe seines Hauses von der Asphaltstraße abbog und auf dem versteckten Weg über sein Gelände fuhr. Als Erstes wollte er den Anhänger in den Schuppen fahren, damit niemand seinen Inhalt sah. Gut, dass er den Verschlag so vergrößert hatte, dass er jetzt bequem auf einer Seite hinein- und auf der anderen hinausfahren konnte. Er kuppelte den Transporter ab, verschloss die beiden Tore und fuhr hinunter zu seinem Haus. Vor der Haustür parkte ein Wagen, den er hier noch nie gesehen hatte.
Er stieg aus und ging hinüber. Auf dem zurückgeklappten Fahrersitz schlief eine Frau. An den langen blonden Locken erkannte Ryan, dass es die Vogelfängerin war, die Anfang der Woche auf der Suche nach ihrem Golden Eagle hier mit dem Motorrad unterwegs gewesen war. Erstaunt klopfte er an die Scheibe und hob beruhigend die Hände, als sie erschrocken hochfuhr.
»Keine Angst, ich bin es nur. Aber was verschafft mir die Ehre, Miss Brendan?«
»Na endlich, ich dachte schon, ich müsste hier im Auto übernachten. Ich hatte in der Nähe zu tun und dachte, ich schau einmal herein. Aber leider waren Sie ausgeflogen.«
»Wie lange warten Sie schon?«
»Zwei Stunden vielleicht. Wollen Sie mich nicht hereinbitten?«
»Selbstverständlich, kommen Sie, aber ich muss Sie allein lassen. Zuerst muss ich mich um meine Herde kümmern.«
»Meine Güte, so beschäftigt?«
Sie folgte ihm zum Haus und zog, wie er, an der Tür die Schuhe aus. »Sind Sie in allem so ein konsequenter Mann?«
»Wie meinen Sie das?«
»Man hat mir schon im Pub erzählt, dass ich mir die Schuhe ausziehen müsste, wenn ich Sie
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