Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
Vom Netzwerk:
weiß schon, was Sie meinen, die Dinger da draußen könnten ganze Romane erzählen, wenn man sie reden ließe.«
    »Woher haben Sie die Sachen?«
    Er zuckte die Schultern. »Die Bauern haben ihre Böden und Schuppen ausgeräumt, nehme ich an.« Er erzählte nicht, dass er bei Nacht und Nebel und nur mithilfe von James diese ganzen Sachen aus den Abstellkammern seines Schlosses geholt hatte und den Plunder der Bauern, mit dem er niemals hierher gegangen wäre, in den gleichen Kammern versteckt hatte.
    Andrea lehnte sich an die Wagenwand, auch auf die Gefahr hin, dass die geliehene Tweedjacke etwas von dem Mist abbekam, der überall klebte. Dieser Sitz auf dem Sack war sehr unbequem, und der Rücken tat ihr langsam weh.
    Ryan, der das bemerkte, sagte sofort: »Ich könnte versuchen, meinen Wagen herzuholen, darin säßen wir bequemer.«
    »Ach wo, es geht schon, ich habe nur Angst um ihre Ja c ke.«
    »Das macht nichts.«
    Andrea sah ihn an, er sah nicht so aus, als hätte er mehr als diese Jacke, und nun verdarb sie die womöglich. Seine braune Cordhose war verschossen und ausgebeult, und das beige Hemd, über der Brust geöffnet, war ungebügelt und am Kragen durchgestoßen.
    Den Hut hatte er immer noch auf, jetzt aber auf den Hinterkopf geschoben, und unter seinem Rand sahen überall blonde, ungekämmte Haarsträhnen heraus. Was Andrea aber faszinierte, war nicht das Aussehen des Mannes, sondern dieses Büschel graublonder Haare, das aus der Hemdöffnung herausschaute und in ihr den unmöglichen Wunsch auslöste, mit der Hand darüber zu gleiten. Auf den ersten Blick verliebt in das Büschel graublonder Brusthaare eines schottischen Schäfers, dachte sie entsetzt und zwang sich, ebenfalls in den Regen zu schauen, der unaufhaltsam auf das Segeltuchdach des Hängers prasselte und einen früh hereinbrechenden Abend anzeigte.
    Auch auf die Gefahr hin, dass alles nass wurde, begannen die Händler, ihre Waren einzupacken. Autos fuhren über die provisorischen Wege und spritzten das Pfützenwasser meterhoch über die rechts und links aufgestellten Tische. Männer schimpften hinterher und drohten mit den Fäusten, während die Frauen kreischten, wenn sie eine Wasserladung abbekamen.
    Andrea sah Ryan an.
    Nach einer Weile stand er auf. »Ich glaube, ich packe auch zusammen. Der Markt ist vorbei. Wenn es Ihnen recht ist, hole ich meinen Wagen, wir packen ein, und dann fahre ich Sie zu Ihrem Hotel.«
    »Das wäre sehr nett. Sie brauchen mich aber nur bis zum Parkplatz zu bringen, da steht mein Wagen.«
    »Abgemacht. Bis gleich also.«
    Ryan ging los, und Andrea beobachtete, wie sein dünnes Hemd innerhalb von Sekunden nass war und die Muskeln unter dem Stoff spielten. Ein gut aussehender Mann, dachte sie. Groß, sportlich, interessant, verführerisch ...
    Ryan war verwirrt. Von dem Regen, der ihn bis auf die Haut durchnässte, spürte er überhaupt nichts. Er marschierte mitten durch Pfützen ohne zu merken, dass ihm das Wasser oben in die Schuhe lief, und wusste überhaupt nicht mehr, wo er seinen Landrover abgestellt hatte. War es möglich, dass eine Frau ihn um den Verstand gebracht hatte? Ihn, den fast fünfzigjährigen, reservierten, selbstbewussten, klar denkenden Mann?
    Aber es bestand kein Zweifel. Diese Andrea hatte ihn verhext. Oder sollte er sagen verzaubert? Sie war eine pitschnasse, unbekannte Frau mit einem strähnigen, reizlosen Zopf, unansehnlich durchnässten Kleidern, belanglosem Gerede und einem kräftigen Zug aus der Flasche. Aber sie war so verdammt munter, neugierig, unkompliziert und fröhlich – eine Frau, über die er nachdenken musste. Unbedingt!

VII
    Da saß sie nun, durchgefroren und nass, in einer fremden Jacke, mit angezogenen Knien auf einem leeren Sack in einem nach Mist stinkenden Schaftransporter, und schaute hinaus in den Regen. In dicken grauen Schnüren strömte er herunter und schuf einen Vorhang zwischen der Sehnsucht nach Sonne und Wärme und dem Grau einer ungemütlichen Wirklichkeit.
    Dieser Mann blieb verdammt lange weg. Es wurde schon dunkel, und Andrea wusste nicht einmal genau, wo sich der Parkplatz befand, auf dem sie ihr Auto abgestellt hatte. Sie war einfach kreuz und quer durch die Stadt gelaufen, hatte bei verschiedenen Spielen zugeschaut, eine Dudelsackkapelle ein Stück weit begleitet, einen Blick auf Folkloretänzer geworfen, sehnsüchtig die Schaufenster der Innenstadt betrachtet und war schließlich auf diesem Markt hier gelandet.
    Die Händler räumten ihre Stände.

Weitere Kostenlose Bücher